Nachts wenn der Teufel kam
niemand, welches Schicksal Berta Berger erlitt, die unscheinbare, korpulente Frau, in deren eintönigem Leben die erste und letzte Sensation ihr grausames Ende war.
Erst Monate später, am 9. März 1942 gegen 17 Uhr, findet der Forstgehilfe Gregor Klingler im Jagen 114 des Michendorfer Forsts, unweit der Autobahn Berlin-Magdeburg, die Leiche einer Frau. Er alarmiert die Polizei. Das Gutachten des Gerichtsarztes ist nichts sagend. Er will sich nicht festlegen. Durch Witterung und Tierfraß wurde die Leiche bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Polizei gelingt es, die Fingerabdrücke festzuhalten.
Ein paar Tage später weiß man, daß die unbekannte Tote mit der vermissten Berta Berger identisch ist.
Was ist mir ihr geschehen? Wurde sie ermordet? Wer sah sie zuletzt? In wessen Begleitung war sie? Auf all diese Fragen gibt es keine Antwort. Und die Polizei löst diesen Fall kurzerhand mit einem Federstrich. Sie bringt die Rätsel auf einen Nenner und rekonstruiert das Verbrechen folgendermaßen:
Der Tatort liegt in der Nähe der Autobahn. Die Frau versuchte per Anhalter weiterzureisen. In ihrem Bestreben, ein Auto zu stoppen, geriet sie vermutlich zu weit auf die Fahrbahn. Ein Auto streifte sie. Sie blieb schwerverletzt liegen. Der Fahrer stoppte den Wagen. Er stellte fest, daß er eine Tote oder eine Sterbende vor sich hatte. Und er bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte den Unfall vertuschen.
Und weiter rekonstruiert die Polizei den Fall, mit einer Phantasie, die dem Autor eines Kitschromanes alle Ehre machen müßte. Die Polizei nimmt an und trägt in die Akten ein, daß der Fahrer das Opfer des Verkehrsunfalls unbemerkt in den Forst schleppte, es mit Moos und Blättern zudeckte und dann weiterfuhr.
In den Akten liest sich das folgendermaßen:
›Da der Fundort in unmittelbarer Nähe der Reichsautobahn liegt, wurde angenommen, daß die Berger einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen und vom Täter in den angrenzenden Wald geschleppt und verborgen worden war.‹
Daß an der Ermordeten ein Sittlichkeitsverbrechen verübt worden war, ließ sich aus verschiedenen Indizien genau feststellen: aus der Lage der Leiche, aus den heruntergerissenen Kleidern, aus dem gerichtsärztlichen Befund. Aber auf diese Spuren verzichtete die Polizei von vornherein, um den Fall Berta Berger als erledigt abbuchen zu können.
Der Mörder läßt das Morden nicht.
Ein paar Monate lang läßt er allerdings auf sich warten. Pünktlich und zuverlässig geht er auf einmal geregelter Beschäftigung nach, lebt friedlich und unauffällig unter Menschen, zu deren blutiger Geißel er geworden ist.
Täglich begegnet er den Köpenicker Polizeibeamten. Er reißt seine Witze mit ihnen, und sie reißen sie mit ihm. Täglich pöbelt er Frauen an. Täglich laufen ihm Kinder nach und rufen ihm zu: »Doofer Bruno! Doofer Bruno!«
Am 5. Juni 1942 nimmt der Ausfahrer Bruno Lüdke um 17 Uhr seine Lohntüte in Empfang. Er kauft sich eine Flasche Schnaps, und der Alkohol rüttelt die Mordgier wach. Er fährt nach Berlin. Er sitzt in der U-Bahn, ohne Ziel. Im Osten steigt er aus. Er trinkt ein paar Glas Bier. Dann sieht er sich nach einem neuen Opfer um.
Es ist jetzt 22 Uhr. Es ist spät geworden für Frau Therese Pohl, geborene Siegert.
Um diese Zeit liegt sie sonst längst im Bett, aber heute kam sie aus dem Urlaub zurück. Mit Verspätung. Ein Taxi war nicht aufzutreiben, und so muß sie mit dem vierjährigen Gerhard und dem dreijährigen Hans-Dieter an der Hand zu Fuß nach Hause gehen. Sie hat nicht weit und sie fürchtet sich nicht. Sie kennt den Weg. Noch nie ist hier etwas vorgekommen.
Die Nacht ist angenehm warm. Die Luft tut ihr gut. Wer nicht zu müde ist, vertritt sich noch die Beine. Alte, gesetzte Eheleute und blutjunge Liebespaare genießen die Frühsommernacht, solange ihnen der Krieg noch die Zeit dazu läßt.
Frau Pohl hat jetzt mit ihren Kindern den schmalen, etwas abgelegenen Waldweg erreicht, der den Bahnhof Hoppegarten mit der Dallwitzerstraße verbindet. Auf einmal ist sie ganz allein. Kein Mensch mehr zu sehen. Sie hält ihre Kinder an der Hand und geht weiter.
Ein Mann kommt ihr entgegen. Sie achtet nicht auf ihn. Er ist vielleicht noch hundert Meter von ihr entfernt. Er geht sehr langsam. Er ist mittelgroß und hat den Blick am Boden.
Jetzt ist Frau Pohl noch fünfzig Meter von ihm weg. Es ist ihre Art, sich die Leute genau anzusehen. Sie hat ein gutes Personengedächtnis, und sie hat Augen, um die sie ein Nachtjäger
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