Nachts wenn der Teufel kam
beneiden könnte.
Der Mann ist jetzt bis auf wenige Meter herangekommen. Er geht so strikt auf sie zu, als ob er sie rammen wollte. Vielleicht ein Betrunkener, denkt Frau Pohl.
Wie sollte sie wissen, daß sie dem Teufel begegnet?
Der vierjährige Gerhard hat beim Anblick des Mannes, der aus dem Dunkel der Nacht auf ihn zukommt, auf einmal Angst. Er will zurückbleiben, aber die Mutter zieht ihn mit kräftigem Händedruck weiter. Für eine Sekunde ist sie abgelenkt. Dann steht sie dem Fremden, dem Betrunkenen, dem Unheimlichen gegenüber. Plötzlich überläuft es sie kalt. Plötzlich möchte sie auf und davon rennen. Aber die Kinder hängen wie Bleiklötze an ihren Händen.
Der Mann lacht. Brutal und ordinär. In der nächsten Sekunde passiert es. Er schlägt mit einem Knüppel auf Frau Pohl ein. Der erste Schlag verfehlt sein Ziel. Der Mann lacht wieder. Die Kinder schreien.
Dann kommt der zweite Schlag. Er trifft Frau Pohl an der Schulter. Auf einmal fällt die Lähmung von der 34jährigen Frau ab. Schaurig gellen ihre Hilferufe durch die Nacht. Der Mörder hält ihr mit seinen kräftigen, breiten Händen den Mund zu. Aber mit verzweifelter Kraft reißt sich die Überfallene los, schreit weiter.
Hört es jemand? Hat Frau Pohl, die mit ihren Kindern nach ein paar Ferienwochen aus der Nähe von Köln in die Reichshauptstadt zurückkommt, eine Chance?
Der Mörder hat sich über sein Opfer geworfen. Er reißt es zu Boden. Er schlägt auf sie ein. Zwei Kinder sehen zu, wie ein Mann ihre Mutter töten will. Der dreijährige Hans-Dieter weint. Der vierjährige Gerhard aber krallt sich in den Haaren des Unmenschen fest.
Schritte.
Niemand hört sie zunächst, weder die Frau, die sich in Todesangst wehrt, noch der Mörder, noch die Kinder.
Schatten. Zwei Männer.
»Was ist los?« ruft einer von ihnen.
Das hört der Mörder. Er springt auf, reißt die Handtasche seines Opfers an sich, huscht mit einem Satz in den Wald und entkommt.
Bis die beiden Männer, die auf die Hilferufe herbeigeeilt sind, die Situation übersehen, ist er längst in Sicherheit.
Ein Sanitätswagen wird herbeigerufen. Die flüchtige Untersuchung am Tatort ergibt, daß Frau Pohl nicht schwer verletzt ist. Auf eigenen Wunsch bringt man sie in ihre Wohnung. Bevor sie sich hinlegt, kümmert sie sich um ihre Kinder, sorgt, daß sie ins Bett kommen. Sie weinen sich in den Schlaf hinein.
Jetzt erst denkt Frau Pohl an sich. Aber sie soll in dieser Nacht nicht zum Schlafen kommen. Die uniformierte Polizeistreife, die das Wäldchen bei Hoppegarten abriegelt, hat die Kriminalpolizei verständigt. Ein Beamter vom Raubdezernat, Kriminalkommissar Hintz, erscheint in der Wohnung der Überfallenen.
»Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, gnädige Frau«, sagt er, »aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn es irgend geht, möchte ich Sie bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten.«
»Ich denke, daß es geht«, antwortet Frau Pohl. Ihr Gesicht ist von Kratzern durchzogen. Deutlich sieht man die Würgespuren an ihrem Hals. Sie ist blass und verstört. Es wird Wochen oder Monate dauern, bis sie das schreckliche Erlebnis überwunden hat.
»Sie sind aus dem Urlaub gekommen?«
»Ja. Die Kinder mussten einmal heraus aus der Stadt. Unser Zug hatte eineinhalb Stunden Verspätung. Taxi gab es natürlich keines. Da wollte ich zu Fuß nach Hause gehen.«
Der Beamte nickt.
»Sie sind verheiratet?«
»Ja. Mein Mann ist Regierungsrat … Das heißt, jetzt ist er natürlich Soldat.«
»Ja«, entgegnet der Beamte.
»Der Verbrecher kam plötzlich auf mich zu, und bis ich recht wußte, was geschah, war es auch schon passiert. Wissen Sie, ich bin keine Zimperliese. Aber es war entsetzlich. Vor allem wegen der Kinder.«
Frau Pohl wirkt jetzt noch blasser, noch verstörter, noch abgehetzter. Man sieht, wie sie sich gewaltsam zusammennimmt, wie sie mit ihren Nerven kämpft, mit der Erschöpfung, mit der Müdigkeit, mit dem Schock.
»Können Sie den Mann beschreiben?«
»Ganz genau, Herr Kommissar. Ich habe ihn mir schon genau angesehen, als er auf mich zukam. Er ging mit so seltsamen Schritten, als wäre er betrunken. Ich wich nach rechts aus, aber er kam schnurstracks auf mich zu. Er war mittelgroß, sehr kräftig, aber nicht dick. Er hatte ein breites Gesicht, kleine Augen, eine kräftige Nase. Er trug keine Mütze, das weiß ich bestimmt. Er hatte sehr kurze Haare und – wie nennt man das – ja, eine Stirnglatze hatte er.«
»Gesprochen hat er
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