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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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wußte.
    Was aber den letzten Fall des Jahres 1941 betrifft, den Fall der 48 Jahre alten Berta Berger aus Berlin-Friedenau, Odenwaldstraße 12, so erscheint die Arbeit der Polizei in einem mehr als seltsamen Licht.
    Wieder einmal wurde ein Mord zugunsten der Kriminalstatistik redigiert. Wieder einmal verzichtet man von vornherein darauf, einen flüchtigen Mörder zu verfolgen, um sich Scherereien mit dem Reichssicherheitshauptamt zu ersparen. Wieder einmal begünstigte die Polizei einen unbekannten Mörder, um der Bequemlichkeit willen. Wieder einmal leistete ein Gerichtsarzt mit einem wissentlich oder fahrlässig falschen Gutachten Beihilfe.
    Berta Berger ist eine resolute Frau in mittleren Jahren. Sie ist Buchhändlerin und hat sich ein paar Tage frei genommen, um ihre Lebensmittelration aufzubessern. Am Morgen schon bricht sie von Berlin auf. Sie hat Verwandte, die in der Gegend von Magdeburg einen Bauernhof besitzen. Längst hatten sie ihr etwas Butter und Fleisch in Aussicht gestellt. Geschäftsleute haben es um diese Zeit mit der Kompensation leichter. Nur die Buchhändlerin nicht. Die Leute, die sich für Bücher interessieren, besitzen keine Lebensmittel, und die Bauern interessieren sich nicht für Bücher. Sicherheitshalber hat Berta Berger ein paar Klassikerausgaben – Dünndruck, mit Ledereinband – in ihrem Gepäck. Für alle Fälle. Vielleicht läßt sich doch etwas damit anfangen.
    Sie fährt, wie alle Welt, per Anhalter. Längst ist das Stoppen von Lastautos ganz und gar üblich geworden. Man gibt dem Fahrer zwei, drei Zigaretten, quetscht sich in die Kabine und reist so immer noch bequemer als mit dem Zug. Züge sind überfüllt, sind unpünktlich, und auf vielen Strecken benötigt man bereits eine Bescheinigung, daß die Reise kriegswichtig ist.
    Es ist kalt und frostig. Berta Berger hat sich für ihre Landtour warm angezogen: einen dicken Wollmantel, derbe Schuhe, einen wollenen Schal, einen wetterfesten Hut. Aus Berlin kommt sie mit einem Lieferwagen heraus. Aber dann muß sie der Fahrer absetzen. Seine Fahrt geht in eine andere Richtung.
    Jetzt steht Berta Berger auf der Autobahn und versucht ihr Glück. Sie weiß, wie man es macht. Sie nimmt Zigaretten in die Hand und winkt damit. Zwei, drei Lastautos sind schon vorbeigefahren. Wahrscheinlich haben sie bereits blinde Passagiere ›an Bord‹. Vielleicht wäre es besser gewesen, überlegt die Buchhändlerin, schon früher auszusteigen.
    Wieder passiert ein Lastwagen die Autobahn, ohne das Tempo zu verringern. Jetzt kommt eine Wehrmachtskolonne. Aber hier versucht Berta Berger es erst gar nicht. Es ist zehn Uhr, und sie friert. Sie geht ein paar Schritte hin und her, um sich warm zu laufen.
    Auf einmal ist ein Mann an ihrer Seite.
    »Kalt heute«, sagt er.
    »Ja«, erwidert sie.
    »Wo woll'n Se denn hinmachen?«
    »Zunächst nach Magdeburg.«
    »Da will ick ooch hin«, entgegnet der Mann. Er ist kräftig, untersetzt. Er hat ein primitives Gesicht, und seine Ausdrucksweise ist ungebildet.
    »Vielleicht haben wir zu zween mehr Glück«, fährt er fort. »Aber ick jloobe, die Autobahn ist schlecht.«
    Er deutet mit dem Arm nach links. »Da hinten ist eine Landstraße. Da müssen wir hinjehn. Ick hab' da meine Erfahrungen.«
    »Na gut«, antwortet Frau Berger. »Gehen wir hin.«
    Sie macht sich keine Gedanken um den Mann an ihrer Seite. Es ist ja heller Tag, und die Gegend ist nicht unbelebt. Und wer denkt schon an den Tod, wenn er mit einem Unbekannten querfeldein durch einen neu angepflanzten Forst auf die Landstraße zugeht?
    Die beiden haben sich jetzt etwa hundert Meter von der Autobahn entfernt. Auf einmal kriecht der Frau ein unheimliches Gefühl langsam den Rücken hoch. Ihr Begleiter sieht sie so seltsam an.
    Aber sie kommt nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, denn im gleichen Augenblick greifen seine Hände unerbittlich und brutal nach ihr. Sie wehrt sich verzweifelt. Ihr letzter Schrei geht im Geräusch der vorbeifahrenden Lastautos unter.
    Erst ein paar Tage später bemerkt man überhaupt, daß die Buchhändlerin fehlt. Eine Kusine erstattet Vermisstenanzeige beim Berliner Polizeipräsidium. Routinemäßig fragen die Beamten in Magdeburg zurück. Die Polizei erfährt, daß Berta Berger ihr Ziel nie erreichte. Jetzt geht die Vermisstenmeldung an alle Polizeidienststellen. In dicken Ordnern wird sie abgeheftet. Unter ein paar hundert Namen. Unter ein paar hundert Schicksalen, die vielleicht banal und alltäglich sind.
    Noch weiß

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