Nachts wenn der Teufel kam
per Anhalter zufällig kam. Er kann sich seine Opfer nicht mehr aussuchen, er kann ihnen nicht auflauern. Er kann nicht den Rückzug sondieren, noch bevor seine Hände nach dem Opfer greifen. Er muß an Ort und Stelle morden. In Berlin.
Zweimal entkommt er der sicheren Entdeckung gerade noch. Zweimal rettet ihn ein unfassbarer Zufall.
Täglich fährt Lüdke mit seinen Mehlsäcken bei zwanzig bis dreißig Bäckereien vor. Er reißt seine derben Späße mit dem Personal. Er bettelt sich durch die Küchen, und fast immer hat er Glück damit. Unbegreiflicherweise mögen ihn die Menschen ganz gern.
Sozusagen im Dienst wagt er Anfang Oktober 1942 mitten in Köpenick, Glienicker Straße 14, in einer Bäckerei, seinen nächsten Mordversuch. Er lädt fünf Säcke Mehl ab und geht in die Küche. Niemand beachtet ihn. Man ist froh, wenn er kommt. Mehl ist knapp, und häufig erscheint er gerade noch im letzten Augenblick.
Bruno Lüdke hat sich mit der Köchin, Frau Magdalena Israel, angefreundet.
»Kleene, haste nich was zu essen?«
»Nee«, erwidert Frau Israel.
»Eenen Schluck Kaffee vielleicht?«
»Kannste haben.«
Die 34jährige hübsche Frau schenkt ihm eine Tasse Kaffee ein.
»Kann ick noch eene hab'n?«
»Auch das«, antwortet Frau Israel. Sie dreht sich um und geht noch einmal zum Herd.
In diesem Augenblick stürzt sich Lüdke von hinten auf sie, preßt sie an sich, schnürt ihr mit den Händen den Hals zusammen.
Zu ihrem Glück kann sich die Köchin losreißen. Sie läuft davon. Bruno Lüdke hinter ihr her. Sie rennt in das Wohnzimmer, keuchend folgt er ihr.
»Bist du verrückt geworden?« fährt ihn Frau Israel an.
Wieder will sich der Mörder auf sie stürzen. Da hört er Schritte. Er schüttelt die Mordgier ab.
»Reg dich man nich uff. Mußt nicht gleich alles dem Meesta verraten. Ist doch nur Spaß jewesen.«
Er fährt mit seinem Lieferwagen davon.
Vor Entsetzen ist Frau Israel noch wie gelähmt. Sie fühlt, daß der Überfall alles andere als Spaß war.
Aber sie schweigt. Aus Mitleid vielleicht oder aus Angst, sich lächerlich zu machen. Erst Monate später findet sie den Weg zur Polizei. Da aber ist Bruno Lüdke bereits verhaftet.
Zwei Tage nach der Affäre Israel kommt es in der Wohnung von Frau Horn, Berlin-Charlottenburg, Dahlmannstraße 10, zu einem ähnlichen Zwischenfall. Bruno Lüdke hat nach dem Überfall auf Magdalene Israel den Arbeitsplatz verlassen und fährt jetzt wieder für seine Eltern die Wäsche zu den Kunden.
Frau Horn, geborene Schmidt, 44 Jahre alt, die jetzt den Judenstern tragen muß, lernte er schon früher kennen. Sie ist eine stille, dunkelhaarige Frau, die sich nicht mehr aus dem Haus traut und froh ist, wenn überhaupt noch jemand mit ihr spricht.
Schon früher blieb Bruno Lüdke immer ein paar Minuten bei ihr sitzen, wenn er die Wäsche brachte. Meistens hatte sie schon im voraus einen kleinen Imbiss für ihn gerichtet, weil sie wußte, daß er sie um Essen anbetteln würde. Zu der Zeit, als sie noch reich und angesehen war und sich nicht vor den Menschen zu fürchten brauchte, hatte Frau Horn schon ihre Wäsche bei den Lüdkes abgegeben. Deshalb hielt ihr die Wäscherei auch jetzt noch die Treue.
»Na, wie jeht's, Frau Horn?« fragt Bruno Lüdke. »Haben Sie 'ne Stulle für mich jerichtet?«
» Ja .«
»Prima. Hab' den ganzen Tag noch nischt jefressen.«
»Wollen Sie auch 'ne Tasse Kaffee?« fragt Frau Horn fürsorglich.
»Na, hören Sie mal … Haben Se mich schon mal nein sagen hören?«
Die ruhige, verhärmte Frau geht an den Herd und setzt Wasser auf. In der nächsten Sekunde passiert es. Bruno Lüdke stürzt sich auf sie, will sie zu Boden reißen, aber er rutscht dabei aus und fällt selbst hin. Er flucht, rappelt sich hoch, will ihr nach.
Frau Horn flieht an das Fenster und schreit gellend um Hilfe.
Der Zufall, das größte Phänomen im Fall Lüdke, will es, daß sie niemand hört. Aber der Mörder bekommt es mit der Angst zu tun und flieht.
Auch Frau Horn findet den Weg zur Polizei nicht, weil sie sich nicht auf die Straße wagt und weil sie Bruno Lüdkes Mutter kennt und deshalb den Sohn schonen möchte. Und außerdem wartet sie täglich darauf, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Schon längst weiß sie vor Furcht nicht mehr ein noch aus.
Indessen schleicht der Mörder weiter um ihr Haus. Tagelang. Wochenlang. Die Frau zu morden ist seine fixe Idee. Einen Monat nach seinem missglückten Überfall huscht er noch einmal in das
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