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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Zeitmaschine.
    »Wo bist du?« brüllte er. »Wenn du mich willst, Ardelia, warum kommst du dann nicht und holst mich? Ich bin hier.«
    Keine Antwort. Aber sie mußte bald herauskommen, richtig?
    Wenn Dave recht hatte, stand ihre Verwandlung unmittelbar bevor, und ihre Zeit war knapp.
    Mitternacht, dachte er. Der Bibliothekspolizist hat mir bis Mitternacht Zeit gelassen; vielleicht hat sie auch so lange. Aber bis dahin sind es noch über dreieinhalb Stunden. So lange kann Dave unmöglich warten.
    Dann kam ihm ein anderer, noch unangenehmerer Gedanke: Angenommen, während er in diesen dunklen Gängen herumirrte, schlich sich Ardelia im Kreis zu Dave und Naomi zurück?
    Er kam zum Ende des Gangs, lauschte, hörte nichts und huschte zum nächsten. Auch der war verlassen. Er hörte ein leises, flüsterndes Geräusch über sich, sah hoch und erblickte gerade noch ein halbes Dutzend schwerer Bücher, die von einem Regal über seinem Kopf glitten. Er warf sich mit einem Aufschrei zurück, während die Bücher herunterpurzelten auf seine Schenkel, und hörte Ardelias irres Gelächter von der anderen Seite des Regals.
    Er konnte sie sich da oben vorstellen, wo sie sich wie eine von Gift aufgedunsene Spinne am Regal festklammerte, und sein Körper schien zu handeln, bevor das Gehirn denken konnte. Er wirbelte auf den Absätzen herum wie ein betrunkener Soldat, der eine Kehrtwendung machen will, und warf sich mit dem Rücken gegen das Regal. Das Gelächter wurde zu einem Schrei der Überraschung und Angst, als sich das Regal unter Sams Gewicht neigte. Er hörte ein fleischiges Platschen, als das Ding sich von seinem Standort entfernte. Einen Augenblick später kippte das Regal um.
    Dann geschah etwas, das Sam nicht vorhergesehen hatte: das Regal, das er gestoßen hatte, kippte über den Gang, wobei die Bücher wie ein Wasserfall herunterpurzelten, und prallte gegen das nächste. Das zweite fiel gegen das dritte, das dritte gegen das vierte, und dann kippten sie alle um wie Dominos, alle in diesem großen, schattigen Archiv, sie krachten und polterten und schüttelten alles ab von Marryats Werken bis zu den gesammelten Märchen der Gebrüder Grimm. Er hörte Ardelia wieder schreien, und dann warf sich Sam auf das gekippte Regal, das er umgestoßen hatte. Er kletterte daran hoch wie an einer Leiter, kickte Bücher auf der Suche nach Halt für die Zehen fort und zog sich mit einer Hand hoch.
    Er sprang auf der anderen Seite hinunter und erblickte eine weiße, höllisch mißgestaltete Kreatur, die sich unter dem Wirrwarr von Atlanten und Reiseführern hervorzog. Sie hatte blondes Haar und blaue Augen, aber damit endete auch jede Ähnlichkeit mit einem Menschen. Die Illusion war dahin. Die Kreatur war ein fettes, nacktes Ding mit Armen und Beinen, die in scherenähnlichen Klauen zu enden schienen. Unter dem Hals hing ein Fleischsack wie ein aufgedunsener Kröpf. Dünne weiße Fasern wirbelten um den Körper. Es hatte etwas gräßlich Insektenhaftes an sich, und plötzlich schrie Sam innerlich stumme, atavistische Schreie, die sich an seinen Knochen entlang auszubreiten schienen. Das ist es.
    Gott steh mir bei, das ist es. Er verspürte Ekel, aber mit einemmal war sein Entsetzen dahin; jetzt, wo er das Ding tatsächlich sehen konnte, war es gar nicht so schlimm.
    Dann fing es wieder an zu schreien, und Sams Erleichterung ließ nach. Es hatte kein Gesicht, aber unter den blauen Augen wölbte sich langsam ein hornartiger Rüssel nach außen, der sich aus dem HorrorGesicht bildete. Die Augen verliefen nach beiden Seiten, wurden zuerst Schlitz und dann Insektenaugen. Sam konnte ein Schnüffeln hören, während es sich in seine Richtung wand.
    Es war von wabernden, staubgleichen Fäden bedeckt.
    Ein Teil von ihm wollte zurückweichen schrie ihn an, er solle zurückweichen , aber größtenteils wollte er seine Position verteidigen. Und als der fleischige Rüssel des Dings ihn berührte, spürte Sam seine große Kraft. Ein Gefühl der Lethargie kam über ihn, ein Gefühl, als wäre alles besser, wenn er einfach stillhielt und es geschehen ließ. Der Wind war zu einem fernen, traumgleichen Heulen geworden. Dieses war in gewisser Weise beruhigend, so wie er das Brummen des Staubsaugers als beruhigend empfunden hatte, als er noch sehr klein war.
    »Sam?« rief Naomi, aber ihre Stimme war weit weg, unwichtig.
    »Sam, alles in Ordnung?«
    Hatte er gedacht, daß er sie liebte? Das war albern. Einfach lä
    cherlich, wenn man darüber nachdachte

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