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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eine.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »In meiner Schreibtischschublade. Und dort wird sie auch blei
    ben.«
    »Komm am Freitag hier vorbei«, sagte Pop. »Bring die Kamera mit. Wir werden meinen kleinen Einfall ausprobieren, und wenn du das verdammte Ding dann immer noch zertrümmern willst, gebe ich dir persönlich den Vorschlaghammer dazu. Ohne Auf
    preis. Ich hab sogar einen Hackklotz draußen, wo du sie drauflegen kannst.«
    »Abgemacht«, sagte Kevin und lächelte.
    »Was genau hast du deinen Eltern denn davon erzählt?«
    »Daß ich mich noch nicht entschieden habe. Ich will nicht, daß sie sich Sorgen machen. Besonders nicht meine Mom.« Kevin sah ihn neugierig an. »Warum haben Sie gesagt, daß ich vielleicht mit meinem Dad darüber reden sollte?«
    »Wenn du die Kamera verschrottest, wird dein Vater stinkesauer auf dich sein«, sagte Pop. »Das ist vielleicht nicht so schlimm, aber er denkt vielleicht, du bist auch ein kleiner Narr. Oder ein altes Waschweib, das Zeter und Mordio nach der Polizei schreit, nur weil eine Bodendiele gequietscht hat, will ich damit sagen.«
    Kevin wurde ein wenig rot und dachte daran, wie wütend sein Vater geworden war, als das Thema des Übernatürlichen angespro
    chen wurde, dann seufzte er. In diesem Licht hatte er es noch gar nicht gesehen, aber jetzt fand er, daß Pop wahrscheinlich recht hatte. Die Vorstellung, sein Vater könnte wütend auf ihn sein, gefiel ihm nicht, aber er konnte damit leben. Aber die Vorstellung, sein Vater könnte ihn für einen Feigling, einen Narren oder beides halten das stand wieder auf einem ganz anderen Blatt.
    Pop sah ihn listig an und las diese Gedanken so mühelos in Ke
    vins Gesicht, wie jemand anders die Schlagzeilen auf der ersten Seite einer Tageszeitung lesen mochte.
    »Glaubst du, er könnte Freitagnachmittag gegen vier mit dir hier
    herkommen?«
    »Unmöglich«, sagte Kevin. »Er arbeitet in Portland. Er kommt kaum je vor sechs nach Hause.«
    »Ich rufe ihn an, wenn du willst«, sagte Pop. »Wenn ich ihn an
    rufe, kommt er.«
    Kevin sah ihn mit großen Augen an.
    Pop lächelte nur dünn. »Oh, ich kenne ihn«, sagte er. »Ich kenne ihn von früher. Er läßt ebenso ungern was über mich verl auten wie du, und das verstehe ich auch; aber ich will damit sagen, daß ich ihn trotzdem kenne. Ich kenne eine Menge Leute in dieser Stadt. Du würdest es nicht glauben, Junge.«
    »Wie?«
    »Ich habe ihm einmal einen Gefallen getan« sagte Pop. Er schnippte ein Streichholz mit dem Daumennagel an und verbarg die Augen hinter soviel Rauch, daß man nicht sagen konnte, ob Heiterkeit, Melancholie oder Verachtung darin lag.
    »Was für einen Gefallen?«
    »Das«, sagte Pop, »geht nur ihn und mich etwas an. Genau wie diese Sache hier« er deutete auf den Stapel Fotos »nur dich und mich etwas angeht. Das wollte ich damit sagen.«
    »Nun okay denke ich. Soll ich etwas zu ihm sagen?«
    »Nee!« sagte Pop in seiner munteren Art. »Ich werde mich um alles kümmern.« Und einen Augenblick war trotz des Vorhangs aus Pfeifenrauch etwas in Pop Merrills Augen, das Kevin Delevan ganz und gar nicht gefiel. Er ging als durch und durch verwirrter Junge hinaus, der nur eines mit Sicherheit wußte: Er wollte, daß diese Sache vorbei war.
    Als er fort war, blieb Pop fast fünf Minuten lang stumm und fast reglos sitzen. Er ließ die Pfeife im Mund ausgehen und trommelte mit den Fingern, die fast so begabt und feinfühlig waren wie die eines Konzertpianisten, aber aussahen, als gehörten sie zu einem Bauarbeiter oder Betongießer, neben den Fotos auf dem Tisch. Als sich der Rauch verzog, konnte man seine Augen deutlich erkennen, und die waren so kalt wie das Eis auf einer Pfütze im Dezember.
    Er stellte die Pfeife unvermittelt auf den Ständer und wählte die Nummer eines Kamera und Videogeschäfts in Lewiston. Er stellte zwei Fragen. Die Antwort auf beide lautete ja. Pop legte den Hörer auf und trommelte weiter mit den Fingern neben den Polaroids auf den Tisch. Was er vorhatte, war dem Jungen gegenüber wahrlich nicht fair, aber der Junge hatte eine Ecke von etwas aufgedeckt, das er nicht nur nicht begriff, sondern gar nicht begreifen wollte.
    Fair oder nicht, Pop glaubte nicht, daß er den Jungen tun lassen würde, was er vorhatte. Er hatte sich nicht entschieden, was er selbst vorhatte, noch nicht, noch nicht ganz, aber es war immer klug, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
    Das war immer klug.
    Er saß da und trommelte mit den Fingern und fragte sich, was

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