Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
zweidimensionalen, täuschend glänzenden Oberfläche nicht von dieser Oberfläche, sondern aus den Bildern heraus zu wehen schien. Er spürte diesen Wind trotz der stummen Beteuerungen, die darauf hinauszulaufen schienen: Wir sind nur Polaroidfotos; wir können unmöglich etwas erzählen oder begreifen, wir zeigen lediglich die unspektakuläre Oberfläche der Dinge. Der Wind war da. Was war mit diesem Wind?
    Kevin zögerte noch einen Moment, und die strahlenden Augen hinter der randlosen Brille musterten ihn unablässig. Ich werde dich nicht fragen, ob du ein Mann oder eine Maus bist, sagten Pop Merrills Augen. Du bist fünfzehn Jahre alt, und ich will damit sagen, mit fünfzehn bist du vielleicht noch kein Mann, noch nicht ganz, aber du bist einfach zu alt für eine Maus, das wissen wir beide. Und darüber hinaus bist du nicht von AUSWÄRTS; du kommst aus der Stadt, genau wie ich.
    »Klar«, sagte Kevin mit hohler Unbekümmertheit in der Stimme.
    Er konnte weder sich noch Pop damit täuschen. »Ich denke, ich kann den Film heute abend kaufen und die Bilder morgen nach der Schule herbringen.«

    »Nö«, sagte Pop.
    »Haben Sie morgen zu?«
    »Nö«, und weil er aus der Stadt war, wartete Kevin geduldig. »Du möchtest die Bilder alle nacheinander machen, richtig?«
    »Klar doch.«
    »Aber ich möchte nicht, daß du es so machst«, sagte Pop. »Es ist einerlei, wo du sie machst, aber auf keinen Fall wann du sie machst.
    Laß mich überlegen.«
    Pop überlegte, dann schrieb er sogar eine Liste mit Uhrzeiten auf, die Kevin einsteckte.
    »Also!« sagte Pop und rieb die Hände heftig aneinander, so daß sie ein trockenes Geräusch von sich gaben, als würden zwei verbrauchte Blatt Schmirgelpapier aneinander schaben. »Wir sehen uns wieder in oh, drei Tagen, oder so?«
    »Ja abgemacht.«
    »Ich wette, du wartest sowieso lieber bis Montagnachmittag nach der Schule«, sagte Pop. Er blinzelte Kevin zum viertenmal zu, ganz außerordentlich langsam und listig und demütigend. »Damit deine Freunde nicht sehen, wie du hierherkommst, und dich damit aufziehen, will ich damit sagen.«
    Kevin errötete, sah auf die Werkbank und sammelte die Polaroidfotos ein, damit seine Hände etwas zu tun hatten. Wenn ihm etwas peinlich war und seine Hände hatten nichts zu tun, ließ er die Knöchel knacken.
    »Ich « Er wollte einen absurden Widerspruch anbringen, der keinen der beiden überzeugt hätte, doch dann verstummte er und starrte eines der Fotos an.
    »Was?« fragte Pop. Zum erstenmal, seit Kevin zu ihm gekommen war, hörte sich Pop richtig wie ein Mensch an; aber Kevin hörte das Wort kaum, noch weniger den leicht aufgeschreckten Tonfall. »Jetzt siehst du aus, als hättest du ein Gespenst gesehen, Junge.«
    »Nein«, sagte Kevin. »Kein Gespenst. Ich sehe, wer das Bild gemacht hat, wer das Bild wirklich gemacht hat.«
    »Wovon, um alles in der Welt, redest du?«
    Kevin deutete auf einen Schatten. Er, sein Vater, seine Mutter, Meg und Mr. Merrill offenbar auch hatten ihn für den Schatten eines Baums gehalten, der selbst nicht im Bild war. Aber es war kein Baum. Das sah Kevin jetzt, und was man einmal gesehen hatte, konnte man nie wieder ungesehen machen.
    Mehr Hieroglyphen auf der Säulentafel.
    »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Pop. Aber Kevin war klar, der alte Mann wußte, daß er auf etwas hinauswollte.
    »Sehen Sie sich zuerst den Schatten des Hundes an«, sagte Kevin. »Und dann wieder diesen hier.« Er klopfte auf die linke Seite des Fotos. »Auf dem Bild geht die Sonne entweder auf oder unter.
    Darum sind alle Schatten lang, und man kann kaum sagen, was sie geworfen hat. Aber als ich ihn eben gesehen habe, hat es bei mir geklickt.«
    » Was hat geklickt, Junge?« Pop griff zur Schublade, weil er wahrscheinlich wieder das beleuchtete Vergrößerungsglas holen wollte, dann hielt er inne. Auf einmal brauchte er es nicht mehr. Nun hatte es auch bei ihm geklickt.
    »Es ist der Schatten eines Mannes, richtig?« sagte Pop. »Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der Schatten eines Mannes ist.«
    »Oder einer Frau. Das kann man nicht sagen. Das sind Beine, da bin ich ganz sicher, aber die könnten auch von einer Frau mit Hosen sein. Oder einem Kind. Weil der Schatten so lang ist «
    »Jaha, kann man es nicht sagen.«
    Kevin sagte: »Es ist der Schatten des Fotografen, oder nicht?«
    »Jaha.«
    »Aber ich war es nicht«, sagte Kevin. »Es ist aus meiner Kamera gekommen wie alle Fotos , aber ich habe es nicht

Weitere Kostenlose Bücher