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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Augenblick sahen sie einander direkt in die Augen, und Sam glaubte die echte Ardelia Lortz zu sehen, und diese Frau hatte ganz und gar nichts Bezauberndes oder Sanftes oder AltjüngferlichBibliothekarinnenhaftes an sich.

    Diese Frau könnte tatsächlich gefährlich werden, dachte er, doch dann verdrängte er verlegen diesen Gedanken. Der düstere Tag und möglicherweise die Belastung der bevorstehenden Rede setzten ihm zu. Sie ist nicht gefährlicher als ein Dosenpfirsichc und es liegt auch nicht am düsteren Tag oder den Rotariern heute abend. Es liegt an diesen verfluchten Plakaten.
    Er hatte den Speaker’s Companion und Best Loved Poems of the American People unter dem Arm, und sie waren schon fast unter der Tür, als ihm klar wurde, daß sie ihn hinauskomplimentierte. Er trat fest mit den Füßen auf und blieb stehen. Sie sah ihn überrascht an.
    »Kann ich Sie etwas fragen, Ms. Lortz?«
    »Selbstverständlich, Sam. Darum bin ich ja hier um Fragen zu beantworten.«
    »Es geht um die Kinderbibliothek«, sagte er, »und die Plakate.
    Einige haben mich überrascht. Fast schockiert.« Er rechnete damit, daß es sich anhören würde wie etwas, das ein Baptistenprediger über eine Ausgabe des Playboy zu sagen hatte, die er unter anderen Zeitschriften auf dem Kaffeetisch eines Schäfchens seiner Gemeinde entdeckte, aber es hörte sich ganz und gar nicht so an. Weil, dachte er, es nicht einfach nur eine Floskel ist. Ich war schockiert. Nicht nur fast.
    »Plakate?« sagte sie stirnrunzelnd, doch dann wurde ihre Stirn wieder glatt. Sie lachte. »Oh! Sie müssen den Bibliothekspolizisten meinen und natürlich den Einfaltspinsel.«
    »Einfaltspinsel?«
    »Sie erinnern sich doch an das Plakat mit der Aufschrift FAHRE
    NIEMALS MIT FREMDEN? So nennen die Kinder den kleinen Jungen auf dem Plakat. Den, der ruft. Sie nennen ihn Einfaltspinsel
    ich nehme an, sie empfinden Verachtung für ihn, weil er so etwas Dummes getan hat. Ich finde, das ist vollkommen normal, Sie nicht?«
    »Er ruft nicht«, sagte Sam langsam. »Er schreit.«
    Sie zuckte die Achseln. »Rufen, schreien, wo ist da der Unterschied? Hier drinnen hören wir beides nicht. Die Kinder sind sehr brav sehr respektvoll.«

    »Mit Sicherheit«, sagte Sam. Inzwischen waren sie wieder im Foyer, und er betrachtete das Schild auf der Staffelei, das Schild, auf dem nicht stand
    SCHWEIGEN IST GOLD
    oder
    BITTE STILL SEIN
    sondern nur ein einziger Befehl, der keine Widerworte duldete: RUHE!
    »Außerdem alles ist eine Frage der Interpretation, oder nicht?«
    »Wahrscheinlich«, sagte Sam. Er spürte, daß er überaus ge
    schickt in eine Lage manövriert wurde, in der er kein moralisches Standbein mehr haben und das Feld der Dialektik ganz Ardelia Lortz gehören würde. Sie vermittelte ihm den E indruck, als wäre sie daran gewöhnt, das zu machen, und das wiederum machte ihn störrisch. »Aber sie scheinen mir doch recht extrem, diese Plakate.«
    »Wirklich?« fragte sie höflich. Sie waren vor der Außentür ste
    hengeblieben.
    »Ja. Furchteinflößend.« Er ri ß sich zusammen und sprach aus, was er wirklich dachte. »Nicht angemessen für einen Ort, wo sich kleine Kinder treffen.«
    Er fand, daß er sich immer noch nicht zimperlich oder selbstge
    recht anhörte, was eine Erleichterung für ihn war.
    Sie lächelte, und dieses Lächeln brachte ihn auf. »Sie sind nicht der erste, der diese Meinung zum Ausdruck bringt, Sam. Erwach
    sene ohne Kinder gehören nicht zu den regelmäßigen Besuchern der Kinderbibliothek, aber von Zeit zu Zeit kommen sie doch einmal
    Onkel, Tanten, de r Freund einer alleinstehenden Mutter, dem aufgetragen wurde, etwas abzuholen oder Leute wie Sie, Sam, die mich suchen.«
    Leute in der Klemme, sagten ihre kühlen blaugrauen Augen. Leute, die hierherkommen und Hilfe brauchen, und hier bleiben, wenn ihnen geholfen worden IST, um Kritik an der Art zu üben, wie wir die Sache hierin der öffentlichen Bibliothek von Junction City anpacken. Wie ich die Sache in der öffentlichen Bibliothek von Junction City anpacke.
    »Sie denken, es war falsch, daß ich die Klappe aufgerissen habe«, sagte Sam gutmütig. Aber ihm war nicht gutmütig zumute; plötzlich fühlte er sich überhaupt nicht mehr gutmütig, aber auch das gehörte zu den Tricks seines Berufs, daher legte er die Gutmütigkeit jetzt wie einen schützenden Mantel um sich.
    »Ganz im Gegenteil. Sie verstehen nur nicht. Letzten Sommer haben wir eine Umfrage gemacht als Teil des jährlichen

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