Nachts
Sommerleseprogramms. Wir nennen das Programm Junction Citys Sommerknüller, und jedes Kind bekommt einen Punkt für jedes Buch, das es liest. Das ist eine Strategie, die wir im Lauf der Jahre entwikkelt haben, um Kinder zum Lesen anzuregen. Sehen Sie, das ist nämlich eine unserer wichtigsten Aufgaben.«
Wir wissen, was wir machen, verriet ihm ihr starrer Blick. Und ich bin ausgesprochen höflich, oder nicht? Wenn man bedenkt, daß jemand, der in seinem Leben noch nie hier gewesen ist, einfach den Kopf hereinstreckt und anfängt, mit Kritik um sich zu ballern.
Sam fühlte sich in die Ecke gedrängt. Das dialektische Schlachtfeld gehörte noch nicht dieser Lortz jedenfalls noch nicht völlig , aber ihm war die Tatsache bewußt, daß er sich auf dem Rückzug befand.
»Laut Umfrage war der Lieblingsfilm der Kinder letzten Sommer Nightmare on Elm Street, Teil 5. Ihre Lieblingsrockgruppe heißt Guns n’ Roses zweiter war jemand namens Ozzy Osbourne, der, wie man mir gesagt hat, im Ruf steht, bei seinen Konzerten lebenden Tieren den Kopf abzubeißen. Ihr Lieblingsroman war ein Taschenbuch mit dem Titel Nach dem Ende der Welt von einem Mann namens Robert McCammon. Wir können es nicht in unserem Bestand halten, Sam. Sie lesen jede neue Ausgabe binnen weniger Wochen in Fetzen. Ich hatte eine Ausgabe binden lassen, aber die wurde natürlich gestohlen. Von einem bösen Kind.«
Sie kniff die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
»Auf dem zweiten Platz lag ein HorrorRoman über Inzest und Kindesmord mit dem Titel Blumen der Nacht. Das war fünf Jahre nacheinander Favorit. Ein paar haben sogar Peyton Place genannt!«
Sie sah ihn streng an.
»Ich selbst habe nie einen der Nightmare on Elm Streetfilme gesehen. Ich habe nie eine Platte von Ozzy Osbourne angehört und verspüre auch keinen Wunsch danach, ebensowenig danach, einen Roman von Robert McCammon, Stephen King oder V. C. Andrews zu lesen. Begreifen Sie, worauf ich hinauswill, Sam?«
»Ich denke ja. Sie wollen damit sagen, es wäre nicht richtig «
Er brauchte ein passendes Wort, suchte danach und fand es.
» den Geschmack der Kinder zu mißachten.«
Sie lächelte strahlend nur ihre Augen nicht, in denen wieder Silbermünzen aufblitzten.
»Das ist ein Grund, aber nicht der alleinige. Die Plakate in der Kinderbibliothek die hübschen und diejenigen, die Sie aus der Fassung gebracht haben wurden uns von der lowa Library Association zugeschickt, die wiederum Mitglied der National Library Association ist, und die wiederum wird größtenteils aus Steuergeldern finanziert. Von Otto Normalverbraucher also von mir. Und Ihnen.«
Sam trat von einem Fuß auf den anderen. Er wollte den Nachmittag nicht mit einem Vortrag darüber verbringen, wie die öffentliche Bibliothek arbeitete; aber hatte er es nicht herausgefordert? Vermutlich. Ihm war nur eines felsenfest klar, daß er Ardelia Lortz immer weniger ausstehen konnte.
»Und die lowa Library Association s chickt uns jeden Monat ein Rundschreiben mit Abbildungen von über vierzig Plakaten«, fuhr Ms. Lortz unbarmherzig fort. »Fünf können wir kostenlos auswählen, weitere kosten drei Dollar pro Stück. Ich sehe, Sie werden unruhig, Sam, aber Sie haben eine Erklärung verdient, und jetzt kommen wir auch zum Kernpunkt der Frage.«
»Ich? Ich bin nicht unruhig«, sagte Sam unruhig.
Sie lächelte ihn an und entblößte so ebenmäßige Zähne, daß es sich nur um eine Zahnprothese handeln konnte. »Wir haben ein Komitee für die Kinderbibliothek«, sagte sie. »Und wer gehört dem an? Nun, selbstverständlich Kinder! Insgesamt neun. Zwei Schüler der HighSchool, zwei der Mittelschule, zwei der Grundschule. Als Qualifikation muß jedes Kind einen Notendurchschnitt von zwei aufweisen können. Sie wählen einen Teil der neuen Bücher aus, die wir bestellen, sie haben die neuen Tapeten und Tische ausgesucht, als wir letztes Jahr renoviert haben und sie wählen selbstverständlich die Plakate aus. Das macht, wie sich eines unserer jüngsten Komiteemitglieder einmal ausgedrückt hat, >am meisten Schpaß<. Begreifen Sie jetzt?«
»Ja«, sagte Sam. »Die Kinder haben Rotkäppchen und den Einfaltspinsel und den Bibliothekspolizisten ausgesucht. Die haben ihnen gefallen, weil sie gruslig sind.«
»Richtig«, strahlte sie.
Plötzlich hatte er genug. Es lag an der Bibliothek. Nicht an den Plakaten oder der Bibliothekarin, sondern an der Bibliothek selbst.
Plötzlich war die Bibliothek wie ein schmerzhafter, nervtötender
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