Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
da sein.«
    »Sieht es groß genug aus, um eine eigene Polizeistation zu haben?«
    »Nein. Nur ein Punkt auf der Karte.
    »Vielleicht haben sie einen Constabler.«
    Sie fuhren eine Weile schweigend weiter. Ein Silo glitt links an ihnen vorbei. Sonst nichts als Mais. Nicht einmal ein Farmwagen kam ihnen entgegen.
    »Sind wir irgend jemandem begegnet, seit wir die Schnellstraße verlassen haben, Vicky?«
    Sie dachte einen Moment nach. »Ein Wagen und ein Traktor. An der Kreuzung.«
    »Nein, ich meine auf dieser Straße. Route 17.«
    »Nein, ich glaube nicht.« Noch vor kurzem hätte sie diese Frage zum Anlaß einer spitzen Bemerkung werden lassen.
    Jetzt starrte sie nur wortlos auf die Straße und die endlose, unterbrochene weiße Linie vor dem Fenster.
    »Vicky? Kannst du den Koffer aufmachen?«
    »Glaubst du, es würde etwas ändern?«
    »Keine Ahnung. Möglich.«
    Während sie die Knoten öffnete (ihr Gesicht hatte eine seltsame Starre angenommen - ausdruckslos, aber die Lippen fest zusammengekniffen - und erinnerte Burt absurderweise an seine Mutter, während sie die Innereien des Sonntagshähnchens herausnahm), schaltete er das Radio wieder ein.
    Der Sender, dem sie bisher zugehört hatten, war jetzt von statischem Rauschen überlagert, und Burt ließ die rote Nadel langsam über die Skala gleiten. Ein landwirtschaftlicher Report.
    Bück Owens. Tammy Wynette. Alles weit entfernt, verzerrt bis zur Unverständlichkeit. Dann, fast am Ende der Skala, schmetterte ein einzelnes Wort aus dem Lautsprecher, so laut und klar, als befänden sich die Lippen des Sprechers direkt hinter dem Lautsprechergrill im Armaturenbrett.
    »Buße!« donnerte die Stimme.
    Burt gab einen überraschten Laut von sich. Vicky fuhr zusammen.
    »NUR DURCH DAS BLUT DES LAMMES SIND WIR SICHER!« schrie die Stimme.
    Burt drehte die Lautstärke hastig herunter. Der Sender mußte nahe sein. So nah, daß … ja, da war er, ein spinnenfüßiges rotes Dreibein, das hoch gegen das Blau des Horizontes aus dem Mais ragte. Der Sendeturm.
    »Büßen heißt das Wort, Brüder und Schwestern«, sagte die Stimme, nun schon nicht mehr ganz so theatralisch. Im Hintergrund, weiter weg vom Mikrophon, erklang ein vielstimmiges Amen. »Ihr glaubt, ihr könntet in die Welt hinausgehen, könntet in ihr leben und arbeiten, ohne von ihr besudelt zu werden.
    Aber ist es das, was uns das Wort Gottes sagen will?«
    Weiter fort, aber laut: »Nein!«
    »HEILIGER JESUS!« donnerte der Prediger, und seine Worte kamen jetzt in einer kraftvollen, hämmernden Kaskade, wie der Rhythmus einer Rock ‘n’ Roll-Gruppe. »Wann werden sie einsehen, daß der Lohn des Lebens erst auf der anderen Seite ausgezahlt wird? Nun? Nun? Der Herr sagt, daß in seinem Haus viele Zimmer sind. Aber da ist kein Platz für die Ehebrecher. Kein Platz für die Lüsternen. Kein Platz für die, die unseren Mais besudeln. Kein Platz für die Homosexuellen.
    Kein Platz -«
    Vicky schaltete das Radio aus. »Dieses Gestammele macht mich krank.«
    »Was hat er gesagt?« fragte Burt. »Er sagte irgend etwas über Mais.«
    »Ich habe nicht hingehört.« Sie zupfte noch immer an den Knoten herum.
    »Er hat irgend etwas über Mais gesagt, ich bin sicher.«
    »Ich habe es!« sagte Vicky. Der Deckel des Koffers fiel auf ihren Schoß. Sie passierten ein Schild: GATLIN 5 MEILEN. DENKEN SIE AN UNSERE KINDER - FAHREN SIE VORSICHTIG. Geschosse vom Kaliber 22 hatten Löcher in das Schild gerissen.
    »Socken«, sagte Vicky. »Zwei Paar Hausschuhe … ein Hemd … ein Gürtel … ein Halstuch mit …« Sie hielt es hoch und zeigte ihm die schmale, vergoldete Klammer mit der eingravierten Figur. »Wer soll das sein?«
    Burt sah es an. »Hopalong Cassidy, vermutlich.«
    »Oh.« Sie legte es zurück und begann wieder zu weinen.
    Nach einer Weile sagte Burt: »Was hat dich an diesem Gequatsche im Radio so aufgeregt?«
    »Oh, nichts. Aber ich habe als Kind genug davon gehört. Ich habe dir doch davon erzählt.«
    »Findest du nicht, daß er sich ein bißchen jung anhört? Dieser Prediger?«
    Sie lachte humorlos. »Ein Teenager, was sonst? Das ist ja das Grausame daran. Sie wissen genau, wann sie ‘dich kriegen können. Wenn du jung bist und für alles aufgeschlossen. Du hättest eines dieser Sommerlager erleben sollen, zu denen mich meine Eltern geschickt haben … Eines von diesen Lagern, in denen du unter ›liebevoller Obhut‹ warst. Warte … da war Baby Hortense, das Singende Wunder. Sie war acht. Sie sang: ›Gebe dich

Weitere Kostenlose Bücher