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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nachts durchfahren, wie gestern?«
    Er nahm den Blick von der Straße und sah sie an. »Allmählich reicht es mir, Vicky. Von mir aus können wir auf der Stelle umdrehen und nach Hause fahren, damit du zu deinem Anwalt gehen kannst. Wenn wir hier nicht -«
    Sie hatte starr geradeaus gesehen, aber plötzlich wandelte sich der Ausdruck auf ihren Zügen, zuerst in Überraschung, dann in Schrecken. 
    »Burt, sieh nach vorne, du -«
    Burt blickte gerade noch rechtzeitig nach vorne, um irgend etwas unter der Stoßstange des T-Bird verschwinden zu sehen.
    Einen Moment später, noch bevor er vom Gas auf die Bremse gehen konnte, fühlte er einen dumpfen, Übelkeit erregenden Schlag zuerst unter den Vorder- dann unter den Hinterrädern.
    Sie schossen weiter vorwärts, während der Wagen über die Mittellinie schleuderte und schließlich entlang einer schwarzen Bremsspur zum Stehen kam.
    »Ein Hund«, sagte er. »Sag mir, daß es ein Hund war, Vicky.«
    Ihr Gesicht hatte die Farbe von bleichem Hüttenkäse angenommen. »Ein Junge. Ein kleiner Junge. Er kam aus dem Feld gelaufen und … Herzlichen Glückwunsch, Tiger.«
    Sie fingerte die Tür auf, lehnte sich hinaus, stand auf.
    Burt saß starr hinter dem Lenkrad des T-Bird, die Hände noch immer darum gekrampft. Er spürte nichts mehr, außer dem dunklen kräftigen Geruch von Kunstdünger.
    Dann bemerkte er, daß Vicky fort war, und als er in den Außenspiegel schaute, sah er sie ungelenk auf etwas zustolpern, das wie ein Bündel Lumpen auf der Straße lag. Sie war eine anmutige Frau, aber von einem Moment zum anderen war ihre äußere Erscheinung zerstört worden.
    Mord. So werden sie es nennen. Ich habe nicht auf die Straße geachtet.
    Er stellte die Zündung ab und stieg aus. Der Wind fuhr sanft durch den mannshohen Mais und erzeugte ein Geräusch wie ein leises Atmen. Vicky stand jetzt über dem Lumpenbündel, und er konnte sie schluchzen hören.
    Er war auf halbem Wege zwischen ihr und dem Wagen, als irgend etwas, ein greller Spritzer wie rote Scheunenfarbe zu seiner Linken, seine Aufmerksamkeit erregte.
    Er blieb stehen und starrte ins Maisfeld. Er dachte daran (irgend etwas, ganz egal, nur etwas, das ihn von diesem Lumpenbündel, das kein Lumpenbündel war, ablenkte), daß es eine phantastisch gute Ernte werden müßte. Der Mais wuchs in dichten, überreifen Reihen. Man konnte sich in diesen engen schattigen Reihen verirren und einen ganzen Tag lang nach dem Ausweg suchen. Aber hier war die wogende Wand durchbrochen. Eine Reihe von Ähren waren gebrochen oder zur Seite gebogen. Und was war das dort hinten in den Schatten?
    »Burt!« schrie Vicky. »Willst du nicht herkommen und dir ansehen, was du getan hast? Du kannst deinen Pokerfreunden zu Hause davon erzählen. Willst du nicht -« Der Rest des Satzes ging in einem Strom von Tränen unter. Ihr Schatten schmiegte sich um ihre Füße wie ein dunkler See. Es war genau Mittag.
    Über ihm schlössen sich die Schatten, als er in das Feld eindrang. Die rote Scheunenfarbe war Blut. Ein Fliegen-schwarm erhob sich summend, kreiste einen Moment und verschwand … vielleicht, um anderen von ihrer Entdeckung zu berichten. Aber es konnte doch nicht so weit gespritzt sein?
    Und dann stand er vor dem Ding, das er von der Straße aus gesehen hatte. Er nahm es auf.
    Die säuberlichen Reihen waren an dieser Stelle zerstört. Eine Anzahl von Hahnen war wie betrunken zur Seite geneigt, zwei andere glatt abgebrochen. Der Boden war zerwühlt. Da war Blut. Der Mais raschelte. Mit einem leisen Schaudern ging er zur Straße zurück.
    Vicky gab hysterische, sinnlose Laute von sich, lachte, weinte. Wer hätte ahnen können, daß es so melodramatisch enden würde? Er sah sie an, aber er fühlte keine Identitätskrise, keinen Wandel in seinem Leben oder sonst etwas von diesem neumodischen Kram. Er haßte sie. Er versetzte ihr einen harten Schlag ins Gesicht.
    Sie verstummte für einen Moment und hob die Hand an die roten Abdrücke seiner Finger auf ihrer Wange. »Du wirst ins Gefängnis gehen, Burt«, sagte sie feierlich.
    »Das glaube ich kaum«, sagte er, während er ihr den Hand-koffer, den er im Feld gefunden hatte, vor die Füße warf.
    »Was -?«
    »Ich weiß es nicht. Aber vermutlich gehört es ihm.« Er deutete auf den reglos ausgestreckten Körper, der mit dem Gesicht nach unten auf der Straße lag. Nicht älter als dreizehn, auf den ersten Blick.
    Der Koffer war alt. Das braune Leder war zerschrammt und abgestoßen. Eine Wäscheleine

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