Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Grapefruit.«
»Steine?«
»Beeilung.«
Die junge Frau verzog das Gesicht, fing aber an, das Ufer nach Steinen abzusuchen, während Brynn ein Stück Boden freilegte. Die Erde war kalt; Brynn konnte es in den Knien spüren. Sie begannen zu schmerzen. Aus ihren Taschen holte sie nun die Flasche Alkohol, das Küchenmesser und den Kerzenanzünder hervor und legte alles neben dem Abzeichen vor sich hin.
Michelle humpelte mit fünf großen Steinen zu ihr zurück. Brynn brauchte nur zwei. Das hatte sie vergessen zu erwähnen.
»Was haben Sie vor?«
»Ich will einen Kompass bauen.« Die Anleitung hatte in dem Überlebenshandbuch der Staatspolizei gestanden. Brynns Team hatte damals keinen angefertigt, aber sie hatte alles gelesen und glaubte, sich an genügend Einzelheiten zu erinnern.
»Wie soll das gehen?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber theoretisch weiß ich Bescheid.«
Die Idee war simpel. Man schlug eine Nadel mit einem Hammer, wodurch sie magnetisiert wurde. Dann legte man sie auf ein Stück Kork, das in einer Schüssel Wasser schwamm. Die Nadel richtete sich von selbst nach Norden und Süden aus. Ganz einfach. Allerdings hatte Brynn gerade keinen Hammer zur Hand. Sie würde den Rücken der Messerklinge benutzen
müssen, den einzigen größeren Metallgegenstand, den sie besaßen.
Brynn legte einen Stein vor sich hin. Dann versuchte sie, die Nadel von ihrem Abzeichen abzubrechen, indem sie sie hin- und herbog. Das Metall gab jedoch nicht nach. Es war zu dick.
»Scheiße.«
»Versuchen Sie, das Ding mit dem Messer abzutrennen«, schlug Michelle vor. »Hauen Sie mit einem Stein drauf.«
Brynn öffnete die Schließe so weit wie möglich, legte sie auf den Stein und setzte die Klinge am unteren Ende der Nadel an. Sie hielt das Messer mit der linken Hand fest und schlug mit einem weiteren Stein auf den Rücken der Klinge. Es gab nicht mal eine Delle.
»Sie müssen fester zuschlagen«, sagte Michelle, deren Begeisterung für das Projekt geweckt war.
Brynn hieb erneut zu. Die Klinge hinterließ einen oberflächlichen Kratzer auf der Nadel, rutschte aber von dem verchromten Metall ab. Messer und Abzeichen ließen sich nicht mit einer Hand auf dem Untergrund fixieren.
Brynn hielt den anderen Stein Michelle hin. »Hier. Tun Sie es. Mit beiden Händen.«
Die jüngere Frau nahm den provisorischen »Hammer«, der ungefähr sieben Kilo wog.
Brynn hielt mit der linken Hand weiterhin den hölzernen Messergriff fest. Mit der Rechten umfasste sie nun den Rücken der Klinge am anderen Ende, kurz vor der Spitze.
Michelle sah sie an. »Ich kann nicht. Nicht mit Ihren Händen dort.« Ihr blieb ein etwa zwanzig Zentimeter breites Stück Messerrücken als Ziel. Falls sie es verfehlte, konnte sie eine von Brynns Händen zerschmettern. Oder die Klinge zur Seite kippen lassen, sodass Brynn das Fleisch von den Fingerspitzen geschnitten wurde.
»Wir haben keine andere Wahl.«
»Ich könnte Ihnen die Finger brechen.«
»Na los. Mit Wucht. Holen Sie ordentlich aus. Kommen Sie schon!«
Die junge Frau atmete tief ein. Sie hob den Stein. Dann verzog sie das Gesicht, atmete aus und ließ den Stein herabsausen.
Man konnte unmöglich erkennen, ob der Schlag nun Brynns Finger oder das Messer treffen würde, aber Brynn rührte sich nicht.
Peng.
Michelle traf die Klinge genau in der Mitte, trieb sie durch das Metall und trennte ein fünf Zentimeter langes Stück der Nadel ab.
Das im selben Moment durch die Luft wirbelte und in einem dunklen Meer aus Blättern am Bachufer verschwand.
»Nein!«, rief Michelle und wollte hinlaufen.
»Nicht bewegen«, flüsterte Brynn. Die Nadel war vermutlich oben auf dem Laubhaufen gelandet, würde jedoch bei der leisesten Bewegung zwischen die Blätter rutschen und auf ewig verloren sein. »Sie muss ganz in der Nähe liegen.«
»Es ist zu dunkel. Ich kann nichts sehen. Verflucht.«
»Psst«, mahnte Brynn. Sie mussten davon ausgehen, dass Hart und sein Freund sie immer noch verfolgten.
»Wir brauchen das Feuerzeug.«
Brynn beugte sich zu den Blättern vor. Die junge Frau hatte recht. In diesem dichten Gehölz, in dem das Licht des Halbmondes durch tausend Äste und standhaft an ihnen haftende Blätter in kleine Stücke geschnitten wurde, konnte man das Metall unmöglich erkennen. Aber der Kerzenanzünder würde für Hart wie das warnende Leuchtfeuer an der Spitze eines Wolkenkratzers weithin zu sehen sein.
Und wieder fiel ihr dazu nur das Motto ein, unter dem dieser Abend zu stehen
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