Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
nicht und dachte, er würde mich in eine Falle treiben. Wenn ich erst einmal durch die Lücke gelangt war, war es nur noch ein kurzer Sprint bis zum Meer, und ich wäre in Sicherheit.
Allerdings stolperte ich mittlerweile eher hastig vorwärts und keuchte dabei wie ein altersschwacher Löwe. Jeder Schritt war eine Folter. Der Schmerz schoss mir in die Waden, und meine Lunge fühlte sich an, als würde sie jeden Moment bersten. Aber ich wusste, ich durfte jetzt nicht nachlassen, also stürzte ich weiter vorwärts. Ich drehte leicht nach rechts ab, der Felsspalte entgegen, was mein Verfolger glücklicherweise auch zuließ. War es möglich, dass ich auf diesem Wege doch noch entkam? Das Ding hatte offenbar keine Ahnung …
Als ich die Bresche erreichte, hechtete ich hinein und schrie schon triumphierend auf, doch mit einem »Umpf« erstarb meine Stimme gleich wieder. Mein verdammter Mantel hatte sich irgendwo verfangen, als ich versucht hatte, mich zu schnell durch die enge Felsöffnung zu zwängen. Von meinem eigenen Schwung wurde ich schmerzhaft gegen die Wand aus rauem Stein geschleudert, und ich spürte, wie die Haut über meinem Augenlid platzte. Vor Schmerz verschlug es mir den Atem, und ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ich hörte wieder das verhängnisvolle
Rascheln in meinem Rücken. Panisch starrte ich auf die Baumgrenze hinter mir. Blut tropfte mir ins Auge und brannte höllisch. Etwas tauchte aus dem Dickicht auf, und ich wollte auf keinen Fall hier feststecken, wenn es herauskam und sich mir vorstellen wollte.
Ein seltsam erstickter Laut löste sich aus meiner Kehle wie bei einem verwundeten Feldhasen, und ich zerrte an der Kordel meines Mantels. Aber ich kam nicht los. Erst dann fiel mir auf, dass ich mich wie ein Idiot benahm und schlüpfte aus den Ärmeln. Die Jacke blieb am Felsen baumelnd zurück. Ich fuhr herum und hastete weiter in die Bucht hinein. Doch dort erwartete mich der zweite abgrundtiefe Schock in ebenso vielen Tagen.
In einem Schaukelstuhl, der auf einer bunten Patchworkdecke im sonst völlig unberührten Sand stand, saß eine winzige Frau. Sie konnte im Stehen nicht viel größer als einen halben Meter sein und trug schlichte grünblaue Kleidung. Ihre silbergrauen Haare waren zu einem grotesk großen Knoten aufgetürmt, und sie lächelte mich freundlich an.
»Hallo, mein Kind«, sagte sie. Hinter mir vernahm ich leises Schnaufen und verhaltenes Jaulen.
Ich wollte die nette Dame lieber nicht aus den Augen lassen, denn ich war überzeugt, sie würde ein Messer zücken, sobald ich ihr den Rücken zukehrte. Außerdem war ich auch nicht besonders scharf darauf, meinem Verfolger ins Gesicht zu sehen. Dennoch konnte ich mich meinem Schicksal auch nicht kampflos ergeben. Ich musste mich dem Angreifer stellen.
Ganz, ganz langsam drehte ich mich um, die Hände kampfbereit zu Fäusten geballt. Nicht, dass ich mich jemals
im Leben schon mit jemandem geprügelt hätte - bisher waren die Waffen meiner Gegner immer Worte gewesen, auch wenn sie damit nicht wenig Schaden anrichteten.
Vor mir stand der größte Hund, den ich je gesehen hatte. Er sah nicht aus wie ein Wolf, eher wie ein zotteliger schwarzer Säbelzahn-Höllenhund. Mein erstaunter Blick wanderte von seinen riesigen Pfoten über seine kräftigen Schultern zu seinem überdimensionalen Maul, das mit den größten Fangzähnen bestückt war, die ich jemals außerhalb eines prähistorischen Museums gesehen hatte.
Er riss sein sabberndes Maul noch weiter auf, als ein leises Jaulen tief aus seinem Bauch drang. Er spitzte die Ohren und fixierte mich, als wolle er mich hypnotisieren. Ich spürte, wie tief aus meiner Magengrube Todesangst aufstieg, die mich zu überwältigen drohte.
Aber wie alle Trues war auch ich aus härterem Holz geschnitzt, also reagierte ich mit genauso viel Mut und Entschlossenheit wie am Tag zuvor, als ich auf Peters Leiche gestoßen war.
Ich fiel direkt in Ohnmacht.
KAPITEL 4
I ch erwachte, weil etwas Warmes, Feuchtes an meinem Gesicht leckte, und der scharfe Geruch von Zahnpasta stieg mir in die Nase. Meine Augen verweigerten noch den Dienst, und alles, was ich erkennen konnte, war ein großer, zotteliger Umriss über meinem Kopf. Als meine Pupillen sich dann langsam scharf stellten, erkannte ich, dass etwas meine Platzwunde sauber leckte. Es fühlte sich unglaublich beruhigend an, bis ich begriff, dass die fragliche Zunge zum Maul des schwarzen Höllenhundes gehörte, der mich durch den Wald gehetzt
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