Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
in der Küche verschwand.
Als mein Hustenanfall endlich nachgelassen hatte und ich wieder normal atmen konnte, kehrte Ryu auf seinen Stuhl zurück. Er wirkte besorgt und belustigt zugleich, und ich hätte ihm am liebsten unterm Tisch gegen das Schienbein getreten. Stattdessen saß ich nur da und nippte an meiner Limonade, bis ich wieder sprechen konnte.
»Also«, brachte ich schließlich über die Lippen, »du bist ein Vampir.«
»Ja und nein.« Er lächelte. »Dir ist ja wahrscheinlich schon aufgefallen, dass ich mich auch bei Tageslicht frei bewegen kann, allerdings büßen wir tagsüber etwas von unseren Kräften ein. Auf keinen Fall sind wir tote Menschen. Im Gegenteil, wir sind ziemlich lebendig und ganz sicher unmenschlich.«
»Es ist ja wirklich toll, dass du lebendig bist und so, aber was ist mit der Blutsaugerei? Und dem ganzen Töten? Und den Vampirzähnen?«
Er fuhr sich mit der Hand durch das braune Haar und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Sein Haar war so dicht, dass es wahrscheinlich wie ein Toupet wirken würde, wenn es nicht so kurz geschnitten wäre. Im Licht des Restaurants glänzte es wie geschmolzene Milchschokolade. Erst dann bemerkte ich, dass er mich beobachtete, wie ich ihn anstarrte. Er lächelte, als ich hastig den Blick senkte. »Es stimmt, dass wir Blut trinken, aber nicht als Nahrung. Wir ernähren uns nicht anders als die Menschen.« Er deutete auf seinen Teller. »Aus dem Blut ziehen wir etwas, das wir Elixier nennen. Im Vergleich zu den Elementen ist es in etwa so wie Energie im Vergleich zur Materie im naturwissenschaftlichen Sinn. Im Grunde nehmen wir über das Blut die Gefühle der Menschen auf. Die mächtigsten Gefühle sind Liebe und Hass, aber es ist so gut wie unmöglich, solche starken Emotionen auf die Schnelle hervorzurufen. Also nähren wir uns meist an Angst oder Lust. Und manchmal an ein bisschen von beidem.«
Ich dachte darüber nach, was er mir da eben erklärt hatte, und biss dabei gedankenverloren in meinen Thunfischtoast. Als ich heruntergeschluckt hatte, sagte ich: »Also kannst du jemandem Angst machen und dann sein Blut saugen. Damit
füllst du deinen Elixierspeicher, und daraus ziehst du Kraft wie ich aus dem Meer.« Er nickte. »Ich verstehe ja, wie das mit der Angst läuft«, fuhr ich fort, »aber Lust?« Er sah mich an, als wäre ich etwas schwer von Begriff. »Oh, natürlich«, sagte ich nach einem Moment und lief mal wieder rot an. Ich war wirklich ziemlich schwer von Begriff.
»Wir brauchen nicht viel Blut, und ganz sicher müssen wir niemandem so viel Blut aussaugen, dass er davon stirbt. Aber wir müssen uns mit Menschen umgeben, denn das Blut der meisten anderen übernatürlichen Wesen hat nicht die richtige Zusammensetzung.«
»Und können die Menschen, die ihr beißt, können sie … sich anstecken?«
Mir war klar, dass ich mich sehr vage ausdrückte, und Ryu schaute so belustigt drein, dass es mich wütend machte.
»Mit was?«, erkundigte er sich und kräuselte seine hübschen Lippen zu einem süffisanten Lächeln.
Ich seufzte. Er war ganz offenbar einer von denen, die es einem gerne schwermachten. »Du weißt schon, Vampirismus. Wie in den Filmen.«
Er schüttelte den Kopf. »Vergiss alles, was du in Filmen über uns gesehen hast«, meinte er. »Die meisten basieren auf Irrglauben, Halbwahrheiten oder sind einfach nur reine Fantasie. Ich habe weder einen Virus noch irgendwelche Krankheitserreger noch verbreite ich einen Fluch. Ich gehöre einfach nur einer anderen Spezies an oder, wenn du willst, einer anderen Rasse als du. Wenn ich dich beißen würde«, erklärte er, »könnte ich dich genauso wenig zum Vampir machen wie du mich durch einen Biss zum Menschen, zur Frau oder zu einem Weißen.«
Nachdenklich aß ich weiter und versuchte das alles zu begreifen.
»Tut es weh?«, fragte ich schließlich, als die Neugier überhandnahm.
»Es kann wehtun, wenn wir das wollen.« Ryus Stimme klang tief, und seine Augen durchbohrten mich förmlich. »Aber es kann sich auch sehr gut anfühlen. Und wir können einen Biss auch ohne Probleme wieder heilen, was sich übrigens auch ziemlich angenehm anfühlt.«
Seine Worte in Verbindung mit der Intensität seines Blickes ließen bestimmte Teile meines Körpers, die schon lange vor sich hin geschlummert hatten, plötzlich wieder zum Leben erwachen. Um meine Verwirrung zu verbergen und den Seufzer zu unterdrücken, der sich aus meiner Kehle lösen wollte, griff ich hastig nach einem sauren
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