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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Ungreifbares. Wenn sie nebeneinander gingen, war es, als gingen sie nicht mehr im Gleichschritt von früher. Als sei die Gemeinsamkeit anstrengend geworden. Auch zwischen O’Kelly und dem Mädchen hatte sich etwas verändert. Er beherrschte sich, aber hin und wieder blitzte Gereiztheit auf, er korrigierte sie, wurde durch ihr Gedächtnis widerlegt und ging hinaus. Es wäre vielleicht auch so zu einem Drama gekommen, nur wäre es harmlos gewesen, verglichen mit dem, was nun geschah.
    Ende Februar platzte einer von Mendes’ Knechten in die Zusammenkunft. Lautlos hatte er die Tür geöffnet und stand im Raum, ein intelligenter, gefährlicher Mann, wir kannten ihn. Estefânia war unglaublich. Kaum hatte sie ihn gesehen, brach sie einen Satz, in dem es um eine gefährliche Operation ging, ab, griff zur Kreide und zum Zeigestock und dozierte über das ç , ich weiß noch genau, daß es das ç war. Badajoz – so hieß der Mann, wie die spanische Stadt – setzte sich, ich kann das Knarren der Bank in der atemlosen Stille noch heute hören. Estefânia zog die Jacke aus, obwohl es im Raum kühl war. Für alle Fälle zog sie sich immer verführerisch an, wenn wir uns trafen. Mit den nackten Armen und der durchsichtigen Bluse war sie… man konnte den Verstand verlieren, auf der Stelle. O’Kelly würde es hassen. Badajoz schlug die Beine übereinander.
    Mit einer aufreizenden Körperdrehung beendete Estefânia die angebliche Unterrichtsstunde. ›Bis zum nächsten Mal‹, sagte sie. Die Leute standen auf, die mühsame Selbstbeherrschung war mit Händen zu greifen. Der Professor für Musik, bei dem Estefânia Unterricht nahm und der neben mir gesessen hatte, stand auf. Badajoz trat auf ihn zu.
    Ich wußte es. Ich wußte, daß das die Katastrophe war.
    ›Ein Analphabet als Professor‹, sagte Badajoz, und sein Gesicht verzog sich zu einem gemeinen, widerlichen Grinsen, ›mal was Neues, gratuliere zum Bildungserlebnis.‹
    Der Professor wurde bleich und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Doch er hielt sich gut für die Umstände.
    ›Ich habe neulich jemanden kennengelernt, der nie lesen gelernt hat. Ich wußte von Senhora Espinhosas Kursen, sie ist meine Schülerin, und nun wollte ich mir ein Bild machen, bevor ich dem Betreffenden vorschlage, es hier zu versuchen‹, sagte er.
    ›Aha‹, sagte Badajoz. ›Wie ist sein Name?‹
    Ich war froh, daß die anderen verschwunden waren. Ich hatte das Messer nicht dabei. Ich verfluchte mich.
    ›João Pinto‹, sagte der Professor.
    ›Wie originell‹, grinste Badajoz. ›Und die Adresse?‹
    Die Adresse, die der Professor nannte, gab es nicht. Sie luden ihn vor und behielten ihn. Estefânia ging nicht mehr nach Hause. Ich verbot ihr, bei O’Kelly zu wohnen. ›Nimm Vernunft an‹, sagte ich zu ihm, ›das ist viel zu gefährlich, wenn sie auffliegt, fliegst du mit auf‹. Ich brachte sie bei einer alten Tante unter.
    Amadeu bat mich in die Praxis. Er hatte mit Jorge gesprochen. Er war vollkommen verstört. Vollständig außer sich. Auf diese stille, bleiche Art, die ihm eigen war.
    ›Er will sie töten‹, sagte er tonlos, ›er hat es nicht mit diesen Worten gesagt, aber es ist klar: Er will Estefânia töten. Damit ihr Gedächtnis gelöscht wird, bevor sie sie schnappen. Stell dir vor: Jorge, mein alter Freund Jorge, mein bester Freund, mein einziger wirklicher Freund. Er ist verrückt geworden, er will seine Geliebte opfern. Es geht um viele Leben , sagte er immer wieder. Ein Leben gegen viele, das ist seine Rechnung. Hilf mir, du mußt mir helfen, es darf nicht geschehen‹.
    Hätte ich es nicht immer schon gewußt – spätestens in diesem Gespräch wäre es mir klar geworden: Amadeu liebte sie. Ich konnte natürlich nicht wissen, wie es mit Fátima gewesen war, ich hatte die beiden ja nur damals in Brighton gesehen, und doch war ich sicher: Das hier war etwas ganz anderes, viel Wilderes, glühende Lava kurz vor dem Ausbruch. Amadeu war ja ein wandelndes Paradox: selbstbewußt und von furchtlosem Auftreten, darunter aber einer, der ständig den Blick der anderen auf sich spürte und darunter litt. Deshalb war er ja auch zu uns gekommen, er wollte sich gegen die Anklage wegen Mendes verteidigen. Estefânia, glaube ich, war seine Chance, endlich aus dem Gerichtshof hinauszutreten, hinaus auf den freien, heißen Platz des Lebens, und dieses eine Mal ganz nach seinen Wünschen zu leben, nach seiner Leidenschaft, und zum Teufel mit den anderen.
    Er wußte von

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