Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
willst du«, sagte Pater Bartolomeu, »er ist Gott.«
»Ja, und genau das spricht gegen Gott: daß er Gott ist«, erwiderte ich.
Der Pater lachte. Er nahm mir nie etwas übel. Er liebte mich.«
Wie gern, Papá, hätte ich einen Vater gehabt, mit dem ich über diese Dinge hätte reden können! Über Gott und seine selbstgefällige Grausamkeit, über Kreuz, Guillotine und Garrotte. Über den Wahnsinn mit der anderen Wange. Über Gerechtigkeit und Rache.
Dein Rücken, er vertrug die Kirchenbänke nicht, so daß ich Dich nur ein einziges Mal habe knien sehen, es war bei der Totenmesse für Onkel Ernesto. Die Silhouette Deines gefolterten Körpers bleibt mir unvergessen, sie hatte etwas mit Dante und dem Fegefeuer zu tun, das ich mir stets als ein flammendes Meer der Demütigung vorgestellt habe, denn was gibt es Schlimmeres als Demütigung, der heftigste Schmerz ist dagegen ein Nichts. Und so kam es nie dazu, daß wir über diese Dinge sprachen. Ich meine, ich habe das Wort Deus von Dir nur in abgedroschenen Redewendungen gehört, nie richtig, nie so, daß daraus ein Glaube gesprochen hätte. Und doch hast Du nichts gegen den stummen Eindruck getan, daß Du nicht nur die weltlichen Gesetzbücher in Dir trugst, sondern auch die kirchlichen, aus denen die Inquisition hervorgegangen ist. Tarrafal, Vater, TARRAFAL !
30
Silveiras Chauffeur holte Gregorius am späten Vormittag ab. Er hatte die Batterien der Campingsachen aufgeladen und zwei Decken eingepackt, auf denen Kaffee, Zucker und Kekse lagen. Im Hotel ließen sie ihn nicht gern ziehen. »Foi um grande prazer« , sagten sie.
Es hatte in der Nacht geregnet, und auf den Autos lag feiner Sand vom Wüstenwind. Filipe, der Fahrer, öffnete für Gregorius die Tür zum Fond des großen, glänzenden Wagens. Als ich im Wagen über das edle Polster strich – da war Prados Plan zu einem Brief an den Vater geboren worden.
Gregorius war mit seinen Eltern ein einziges Mal im Taxi gefahren, auf der Rückfahrt von einem Urlaub am Thunersee, wo sich der Vater den Fuß verstaucht hatte, so daß es wegen des Gepäcks nicht anders ging. Er hatte dem Vater am Hinterkopf angesehen, wie unwohl ihm war. Für die Mutter war es wie im Märchen gewesen, ihre Augen leuchteten, und sie wollte gar nicht wieder aussteigen.
Filipe fuhr zur Villa und dann zum Liceu. Der Weg, auf dem die Lieferwagen früher die Sachen für die Schulküche gebracht hatten, war vollständig zugewachsen. Filipe, der Fahrer, hielt. »Hier?« fragte er entgeistert. Der schwergewichtige Mann mit Schultern wie ein Pferd wich den Ratten ängstlich aus. Im Büro des Rektors ging er langsam den Wänden entlang, die Mütze in der Hand, und betrachtete die Bilder von Isfahan.
»Und was machen Sie hier drin?« fragte er. »Ich meine, es steht mir nicht zu…«
»Schwer zu sagen«, sagte Gregorius. »Ganz schwer. Sie wissen, was Tagträumen ist. Ein bißchen so ist es. Aber dann auch wieder ganz anders. Ernster. Und verrückter. Wenn die Zeit eines Lebens knapp wird, gelten keine Regeln mehr. Und dann sieht es aus, als sei man übergeschnappt und reif für die Klapsmühle. Doch im Grunde ist es umgekehrt: Dort gehören diejenigen hin, die nicht wahrhaben wollen, daß die Zeit knapp wird. Diejenigen, die weitermachen, als sei nichts. Verstehen Sie?«
»Vor zwei Jahren hatte ich einen Herzinfarkt«, sagte Filipe. »Ich fand es sonderbar, danach wieder zur Arbeit zu gehen. Jetzt fällt es mir wieder ein, ich hatte es ganz vergessen.«
»Ja«, sagte Gregorius.
Als Filipe gegangen war, überzog sich der Himmel, es wurde kühl und dunkel. Gregorius stellte den Ofen an, machte Licht und kochte Kaffee. Die Zigaretten. Er holte sie aus der Tasche. Welche Marke die Zigaretten denn gewesen seien, die er da zum erstenmal im Leben geraucht habe, hatte ihn Silveira gefragt. Dann war er aufgestanden und mit einer Packung dieser Marke zurückgekommen. Hier. War die Marke meiner Frau. Liegt seit Jahren in der Schublade des Nachttischs. Auf ihrer Seite des Betts. Konnte sie nicht wegwerfen. Der Tabak muß staubtrocken sein. Gregorius riß die Packung auf und zündete eine an. Inzwischen konnte er auch inhalieren, ohne zu husten. Der Rauch war scharf und schmeckte nach verbranntem Holz. Eine Welle des Schwindels überspülte ihn, und das Herz schien zu stolpern.
Er las die Stelle bei Jeremia, über die Prado geschrieben hatte, und blätterte zurück zu Jesaja. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht
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