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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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wieder, aber wir suchen uns nicht. Er weiß, was ich damals dachte, das macht es nicht einfacher.«
    Eça zog heftig an der Zigarette, die Glut fraß sich dem Papier entlang, das in der Finsternis hell schimmerte. Er hustete.
    »Jedesmal, wenn mich Amadeu im Knast besuchte, war ich versucht, ihn nach O’Kelly zu fragen, nach ihrer Freundschaft. Ich habe mich nicht getraut. Amadeu drohte nie jemandem, das gehörte zu seinem Credo. Aber er konnte, ohne es zu wissen, eine Drohung sein . Die Drohung, vor den Augen des anderen zu zerspringen. Jorge konnte ich natürlich auch nicht fragen. Vielleicht heute, nach über dreißig Jahren, ich weiß nicht. Kann eine Freundschaft so etwas überleben?
    Als ich rauskam, forschte ich nach dem Professor. Seit dem Tag der Verhaftung hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. Diese Schweine. Tarrafal. Haben Sie schon mal was von Tarrafal gehört? Ich hatte damit gerechnet, daß ich dahin käme. Salazar war senil, und die P.I.D.E. machte, was sie wollte. Ich glaube, es war Zufall, daß es nicht dazu kam, der Zufall ist der Bruder der Willkür. Für diesen Fall hatte ich mir vorgenommen, mit dem Kopf gegen die Zellenwand zu rennen, bis der Schädel bräche.«
    Sie schwiegen. Gregorius wußte nicht, was er hätte sagen können.
    Schließlich stand Eça auf und machte Licht. Er rieb sich die Augen und machte den Eröffnungszug, den er immer machte. Sie spielten bis zum vierten Zug, dann schob Eça das Brett zur Seite. Die beiden Männer standen auf. Eça nahm die Hände aus den Taschen der Strickjacke. Sie traten aufeinander zu und umarmten sich. Eças Körper erzitterte. Ein rauher Laut von animalischer Kraft und Hilflosigkeit kam aus seiner Kehle. Dann erschlaffte er und hielt sich an Gregorius fest. Gregorius fuhr ihm über den Kopf. Als er die Tür leise aufschloß, stand Eça am Fenster und sah in die Nacht hinaus.

32
     
    Gregorius stand im Salon von Silveiras Haus und betrachtete eine Reihe von Fotografien, Schnappschüssen eines großen Fests. Die meisten Herren trugen Cuts, die Damen lange Abendkleider, deren Schleppen über das glänzende Parkett wischten. José António da Silveira war auch zu sehen, viele Jahre jünger, in Begleitung seiner Frau, einer üppigen Blondine, die Gregorius an Anita Ekberg in der Fontana di Trevi erinnerte. Die Kinder, vielleicht sieben oder acht, jagten sich unter einem der endlosen Tische mit dem Buffet. Über einem der Tische das Familienwappen, ein silberner Bär mit roter Schärpe. Auf einem anderen Bild saßen sie alle in einem Salon und hörten einer jungen Frau am Flügel zu, einer alabasternen Schönheit, die der namenlosen Portugiesin auf der Kirchenfeldbrücke auf entfernte Weise ähnlich sah.
    Gregorius hatte nach der Ankunft in der Villa lange auf dem Bett gesessen und gewartet, bis die Erschütterung über den Abschied von João Eça verebbt war. Der rauhe Laut aus seiner Kehle, ein trockenes Schluchzen, ein Hilferuf, eine Erinnerung an die Folter, alles zusammen – er würde nie mehr aus seinem Gedächtnis weichen. Er wünschte, er könnte so viel heißen Tee in sich hineingießen, daß der Schmerz in Eças Brust weggespült würde.
    Langsam dann waren ihm die Einzelheiten der Geschichte über Estefânia Espinhosa wieder in den Sinn gekommen. Salamanca, sie war Dozentin in Salamanca geworden. Das Bahnhofsschild mit dem mittelalterlich dunklen Namen tauchte vor ihm auf. Dann verschwand das Schild, und er dachte an die Szene, die Pater Bartolomeu geschildert hatte: wie O’Kelly und die Frau, ohne sich anzusehen, aufeinander zugegangen waren und dann an Prados Grab gestanden hatten. Daß sie es vermieden hatten, sich anzublicken, schuf eine größere Nähe zwischen ihnen, als jede Verschränkung von Blicken es vermocht hätte.
    Schließlich hatte Gregorius den Koffer ausgepackt und die Bücher aufs Regal gestellt. Es war sehr still im Haus. Julieta, das Mädchen, war gegangen und hatte ihm eine Notiz auf den Küchentisch gelegt, wo das Essen zu finden sei. Gregorius war noch nie in einem Haus wie diesem gewesen, und es kam ihm alles verboten vor, sogar das Geräusch seiner Schritte. Schalter für Schalter hatte er Licht gemacht. Das Eßzimmer, wo sie zusammen gegessen hatten. Das Bad. Auch in Silveiras Arbeitszimmer hatte er einen kurzen Blick geworfen, nur um die Tür gleich wieder zu schließen.
    Und jetzt stand er im Salon, wo sie den Kaffee getrunken hatten, und sagte das Wort nobreza in den Raum hinein, es gefiel ihm, es gefiel

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