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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Darum geht es nicht. Die Geschichte hat drei Tage früher begonnen.
    Julius schwieg. Kein Trost, kein Widerspruch. Schlimmer konnte es nicht kommen: Er gab mir also recht. Unendlich viel Zeit verstrich, bis ich endlich, um irgendein sachliches Problem aufzuwerfen, fragte, ob er etwas bemerkt habe.
    – Was denn?
    – Ob sie mich suchen?
    – Hm?
    – Dass jemand im Laden nachgefragt hätte?
    – Null!
    Je einsilbiger unser Gespräch wurde, desto mehr lud es sich mit Intensität auf. Da kroch etwas durch die Leitung und machte mich ganz beklommen. Ich bildete mir ein, dass Julius mit den Tränen kämpfte.
    – Diese gottverdammte Sauferei auch immer, quetschte er schließlich in den Hörer.
    Solchen Scheißdreck in einer so aufgewühlten Situation sagen nur Männer. Sie bekommen die Zähne nicht auseinander und ballern Stattdessen hohlen Nonsens wie Leuchtraketen in die Luft. Ein Wort nach dem anderen verglüht rückstandslos.
    Ich versprach Julius, auf mich aufzupassen, ließ mir noch viel Glück wünschen, legte auf und stierte anschließend vor mich hin. Aus der Bäckertüte blitzte noch ein Eiweckerl wie ein wohlgeformter, gut gebräunter Frauenarsch hervor. Feuchten Auges schmierte ich auch diese letzte Semmel und rief gleich danach Emma an.
    – Wo steckst du denn?, fragte sie. Ich telefoniere mir die Finger wund.
    Reflexhaft entschied ich mich dafür, sie aus meinem Nöten herauszuhalten.
    – Bin noch mit einer größeren Fuhre unterwegs und leider bei Landsberg hängen geblieben. Wegen einer Zylinderkopfdichtung.
    Das war mit Abstand der größte Fehler, den ich seit Langem gemacht hatte. Denn damit hatte ich mir jede Möglichkeit verbaut, mich ihr anzuvertrauen.
    Emma war zeitungsmäßig voll im Bilde. Am meisten war Wolfertshofer zu bedauern, obwohl der ja nichts mehr davon hatte. Schrecklich! Da lernte sie diesen witzigen, vor Einfällen sprühenden Menschen kennen, und zwei Tage später war er tot. Sie kam immer mehr in Fahrt und redete vor sich hin. Während ich aus meinem selbst verordneten Schweigen nicht herauskam, aber wie der alte König Amfortas mit schwärender Wunde dasaß, schwadronierte sie über die Fährnisse des Lebens. Selber schuld! Statt meinen Fehler zu korrigieren, biss ich, wie es alte Könige so an sich haben, auf die Zähne. Und dann verabschiedeten wir uns.
    Hätte ich mir nun freien Lauf gelassen, wäre ich in den nächsten Giesinger Krug abgetaucht. Aber manchmal konnte ich auch dann noch auf die Zähne beißen, wenn der Vorhang schon gefallen war.
    21
    Unruhig durchwanderte ich das Atelier. In so verzehrenden Situationen, wo man meint, die Zukunft, die sich einem verzweifelten Menschen als unübersehbares Feld darbietet, dadurch bestellen zu müssen, indem man eine Sorgenfurche nach der andere zieht, hilft mir die Vorstellung, dass alles schon längst verloren ist. Diese Schnapsidee eines hitzigen Abends hatte eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Noch nicht einmal Julius zweifelte an meiner Schuld. Wüsste Emma davon, könnte sie sich dieser Einschätzung nur anschließen. Zu Hause durfte ich mich nicht mehr blicken lassen. Meine Beziehungen, der Laden und das bisschen bürgerliche Reputation, das einem Kleinkaufmann zukommt, alles würde den Bach runtergehen. Wenn man das gedanklich vorweggenommen hat, dann kann man alles, für eine Weile zumindest, loslassen.
    Gerne hätte ich nun alle Sorgen weggeschlafen, aber ich war noch nicht müde genug. Also widmete ich mich Wolfertshofers Büchern und Manuskripten. Seine Programme hatte er in Aktenordnern abgelegt. Dem endgültigen Text gingen ausführliche Recherchen voran. Zeitungsausschnitte, Bilder und kopierte Auszüge aus Büchern. In andere Fächer waren Krimis, Magazine und Videokassetten gestopft. Eine Ordnung war nicht erkennbar. Umso mehr fiel mir eine ganze Abteilung ins Auge, die aus säuberlich nebeneinander aufgereihten Bildbänden bestand, durch die Bank prachtvolle Stücke. Einige waren großen Städten wie München, Dresden, Rom, Athen gewidmet, andere der Aktfotografie oder Filmschaffenden.
    Ich entschied mich für den Prag-Band, der eindrucksvollen Fotos wegen, und setzte mich mit dem Buch in den Sessel. Als ich ihn aufklappte, entdeckte ich eine handgeschriebene Widmung: Machen Sie was draus, bevor es die anderen in die Finger bekommen! stand da und war unterschrieben mit: In Freundschaft Ihr Fritz Eyerkauff. Gespannt blätterte ich weiter. In der Mitte stieß ich auf eine sorgfältig eingeklebte Klarsichthülle,

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