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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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die ein Etikett mit der Beschriftung Operation Bruderschaft trug. Umso erstaunter war ich, als ich die dünnen blauen Seiten herausholte. Die Ausfertigung war ein Relikt aus früheren Zeiten, denn es handelte sich um Durchschläge, die noch mit Kohlepapier hergestellt waren. Ich überflog den Text. Auf drei Seiten hatte der Verfasser hier in einer behördentypisch unbeholfenen Sprache die Kernidee von Wolfertshofers Programm skizziert, das ich ja selbst im Schlachthof miterlebt hatte. Jegliche künstlerische Durcharbeitung fehlte, der Text war im Stil eines dürren Dossiers abgefasst und trug die Überschrift Die Macht der Böhmerwaldloge. Am Ende des Papiers war noch ein tabellarischer Personenschlüssel der Loge angefügt worden. Einige der Namen kannte ich. Sie gehörten Personen, die ein prominentes Amt bekleideten oder im Parlament von sich reden gemacht hatten.
    Ich versuchte mir einen Reim auf diese seltsame Geschichte zu machen. Die umständliche Ausdrucksweise ließ in mir die Vorstellung eines biederen Beamten erstehen, Inspektor des Eichamts zum Beispiel, der verdrossen in seiner Behörde hockte, weil ihm die tagtägliche Arbeit nicht genügend Herausforderungen bot. Frivolerweise hatte er sich dem Kabarett zugewendet. Illuminiert war seine künstlerische Arbeit nicht gerade, dazu wirkte die Ausführung viel zu hölzern, aber man musste ihm ein Kompliment für seinen Plot zollen, den er gut erfunden hatte.
    Wolfertshofer hatte sich also nicht gescheut, einen Ghostwriter für sein Programm einzusetzen, und er hatte offenbar kein Problem damit gehabt, die geborgten Einfälle auch zu verwenden. Ich nahm mir vor, nächster Tage die anderen Bildbände daraufhin genauer in Augenschein zu nehmen.
    Weit nach Mitternacht wurde ich endlich schläfrig und legte mich hin. Morgen Abend würde die Schonzeit, die ich mir wegen meiner Blessuren auferlegt hatte, vorbei sein. Und nichts heilt so gut wie ein tiefer Schlaf.
    22
    – Heute schaut das schon viel besser aus!
    Die Bedienung in der Bäckerei wirkte nun ausgesprochen munter und leutselig. Man musste nur zweimal freundlich grüßen und die Kasse nicht mitnehmen, schon hatte man die Leute gewonnen.
    Aber sie hatte recht. Ein rassiger Stoppelbart bedeckte den Großteil meines Gesichts. Der Rest war optisch von der Prügelei zum Fahrradunfall herunterskaliert. Auch beim Kauen hatte ich deutlich weniger Probleme. Ausführlich hörte ich den Nachrichtensender ab, der den Wolfertshofer-Fall nachbereitete. Die Polizei war auf einer vollkommen falschen Spur. Statt einer Hinrichtung, so wie ich sie gesehen hatte, sprach man von einer tätlichen Auseinandersetzung mit Todesfolge. Statt die Nazis zu benennen, war von unbekannten Tätern die Rede. Statt politischer Hintergründe führte man finanzielle Schwierigkeiten des Kabarettisten ins Feld. Offenbar war ich bei der Aufklärung vollkommen auf mich allein gestellt.
    Am späten Nachmittag machte ich einen ausgedehnten Spaziergang, um mich körperlich zu aktivieren und geistig auf das Kommende einzustellen. Gegen Abend dann schwang ich mich aufs Rad und fuhr geradewegs zum Gotzinger Platz, um die Burg Berneck aufzusuchen. Meinen Totschläger hatte ich unter der Jacke stecken; sicher fühlte ich mich dennoch nicht, im Gegenteil, ich hatte Angst, und mir war zumute wie bei einem Himmelfahrtskommando.
    Einige Hälse reckten sich neugierig, als ich hereinkam. Muffiger, kalter Altkneipendunst schlug mir entgegen. Wäre ich mit dem empfindlichen Riechorgan eines Hundes ausgestattet, hätte ich vor diesem Gemisch aus abgestandenem Schwein, Schweiß und Schwiemel schon am Eingang kapituliert. Innen grüßten die achtziger Jahre, man hatte sich die letzten fünfundzwanzig Jahre mit unveränderter Innenausstattung durchschlagen können.
    Der Gastraum war noch wenig belebt. Am Stammtisch saßen ein paar Jungnazis, einige spielten Karten. Die Tristesse der Gammelpatina wurde durch das uniformierte Schwarz-Weiß der Anwesenden verstärkt. Rot konnten in dem dargebotenen Farbensemble nur die Köpfe werden, und das auch erst später, wenn das Bier reichlicher geflossen war. Einer aus der mittleren Befehlshierarchie war anwesend, kenntlich an dem weißen Hemd mit aufgesetzten Brusttaschen und den geistigen Epauletten, die er mit seinen kraftvoll gemeinten Gesten beanspruchte.
    Den Ecktisch hielten zwei Alte besetzt, die man wohl aus dem vorkameradschaftlichen Bestand der Burg Berneck hatte übernehmen können. Offenbar hießen sie die

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