Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
an der Tür.
    – Hallo, ist jemand da?, rief einer.
    Dann betraten sie die Wohnung. Das war der Moment für mich. Ich drückte die langsam die Schwingtür auf und verschwand durch die Haustür. Unten stand mein Rad. Ich schob es zunächst und hielt mich auf meinem Fluchtweg immer dicht an der Mauer, sodass ich von oben nicht wahrgenommen werden konnte. Erst an der Ecke schwang ich mich auf den Sattel und fuhr davon.
    Die Stadt war dunkel und leer. Von der Kirche her schlug die Turmuhr halb zwei.
    18
    Die kalte Luft schmerzte, tat aber nach einer Weile gut. Sie kühlte meine Wunden und verschaffte mir klarere Gedanken. Im Auge des Sturms kehrte Ruhe ein, ich übersah meine Situation mit der nötigen Kaltblütigkeit und musste mir eingestehen, dass ich nun auf der Flucht war. Ich wusste nicht, ob meine Spuren am Tatort zu identifizieren waren, aber sicher war, dass die polizeiliche Recherche und Rekonstruktion des gestrigen Tages auf mich hindeuten würden. Es war nur eine Frage der Zeit, wann bei mir angeklopft werden würde. Entweder ich tauchte vollständig ab oder ich hatte bis dahin eine bessere Geschichte. Den Ausschlag gab das Bewusstsein tiefer Schuld, die alles andere überlagerte und auch meine ganz persönliche Klemme nebensächlich machte. Es bestand kein Zweifel, dass ich Wolfertshofers Tod zu verantworten hatte. Und das war das Schlimmste. Ich hatte die Pflicht, die Täter zu stellen, und dazu musste ich handlungsfähig bleiben.
    Zu Hause angekommen, verfuhr ich ganz systematisch. Ich wusste, dass ich noch Zeit genug für alle Vorbereitungen hatte. Ich zog aus, was ich am Leib trug, heizte meinen großen Ofen hoch, dessen Glutkern alles verzehrte, was man hineinstopfte, und verbrannte das ganze Bündel, inklusive meiner Schuhe. Den Totschläger reinigte ich sorgfältig. Dann duschte ich und zog frische Kleidung an. Meine Wunden verarztete ich, so gut es ging.
    Unter der Brause war der Reflex, der mich die Schlüssel hatte einstecken lassen, zum Plan gediehen. Ich holte daher meinen Rucksack heraus, packte etwas Wäsche zusammen und steckte einen Teil des Geldes ein, das ich in meiner schwarzen Kasse unter den Küchenbohlen verwahrte. Einen zweiten Ladenschlüssel steckte ich in einen Briefumschlag, gab für Julius nur die kurze Notiz bei, dass ich in größten Nöten sei und er meinen Laden mitversorgen möge. Für umschweifige Erklärungen hatte ich keine Zeit, der kurze Hinweis war außerdem in seiner Drastik wirkungsvoller.
    Ich stocherte in der Asche des ausglühenden Ofens, alles war verbrannt. Ein letzter kontrollierender Blick. Die Autogrammkarte, die ich beim Aufräumen an mich genommen hatte, lag auf dem Tisch. Wehmut erfasste mich, als ich Wolfertshofers verzinktes Grinsen so lebendig abgebildet sah. Schon wollte ich die Karte in den Ofen werfen, da stellte ich fest, dass auf der Rückseite Zahlen vermerkt waren. Offenbar hatte er mit seinen Kartenbrüdern darauf die Spielrunden protokolliert. Ich brachte es nicht über mich, dieses Andenken zu verbrennen und pinnte die Karte zu anderen Fotografien an meine Bildwand.
    Was ich tun konnte, war getan. Ich fuhr bei Julius vorbei und warf das Kuvert in seinen Briefkasten. Dann machte ich mich zum Giesinger Berg auf. Wolfertshofer hatte mir erzählt, dass er sich dort oben verschwiegen und anonym eine alte Garage zum Atelier umgebaut hatte, um ungestört arbeiten zu können. Er hatte mir die Adresse ungewollt verraten, denn es gebe, so hatte er erzählt, gleich am Eck den Laden eines inzwischen betagten Bäckermeisters, der noch Amerikaner, Granatsplitter und sogar Eiweckerl selbst herstelle. Ich kannte den alten Zindl, der in seinem Laden nur das althergebrachte Backwerk anbot.
    Ich hoffte, dass ich mit meiner Vermutung recht hatte und einer der Schlüssel, die ich in der Tasche hatte, für die Garage passen würde.
    19
    Giesing trug immer schon das schmückende Beiwort Arbeiterviertel. Arbeiter sind jedoch inzwischen im Münchner Stadtbild ebenso selten geworden wie rote Fahnen. Heute hat man es mehr mit Arbeitslosen und ihren Unterkünften zu tun, der verbleibende Rest sind Angestellte. Deswegen ist aus dem ungeliebten Giesing in seiner Schmucklosigkeit wieder das geworden, was es im Mittelalter schon gewesen war: günstige Behausung für alle, die sich das Wohnen in München eigentlich nicht leisten können. Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt geworden sind allenfalls die Strafanstalt Stadelheim und das Grab Rudolph Moshammers, weswegen Giesing

Weitere Kostenlose Bücher