Nackt schlafen ist bio
rechts von meinem Bett sowie in die Schreibtischlampe und in die Leselampe unten im Erdgeschoss. Dann knipste ich den Schalter an.
Nichts passierte.
Nein, Moment, es passierte doch etwas.
Mit einem Sekundenbruchteil Verzögerung erwachten die Dinger zum Leben und blinkten ein paarmal zaghaft, als sei ihnen bewusst, in welch unvorteilhaftes Licht sie alles rückten, weswegen sie sich zu der Warnung an jeden im Umkreis von zwei Metern veranlasst sahen, den Raum zu verlassen, solange es noch ging.
Eigentlich passt das Bild »zum Leben erwachen« ganz und gar nicht, denn diese Lampen tauchen alles in den grellen, kalten Schein eines Leichenschauhauses. Selbst mit Lampenschirmen darüber sind sie kein Ersatz für meine geliebten Glühbirnen. Zugegeben, das Licht ist nicht so grässlich wie das der riesigen Neonröhren über meinem Arbeitsplatz im Großraumbüro, aber wie soll ich mich entspannen, wenn die harte ästhetische Energiespar-Realität derart brutal auf meine Netzhaut trifft? Selbst wenn es mir gelingen sollte, auf meinem lächerlichen Öko-Trip einen Verehrer zu finden, wie sollte er ins Schwärmen geraten, wenn mein Teint dem Inneren einer Teekanne aus dem 18. Jahrhundert gleicht?
Mit einem Seufzer schlenderte ich zu meinem weniger aggressiv leuchtenden Notebook-Bildschirm hinüber, um einen Blogeintrag zu tippen. Zuerst recherchierte ich ein paar Fakten zu Energiesparlampen (d. h., ich tippte den Begriff bei Google ein) und stieß dabei auf die Website Eine Milliarde Glühbirnen, die die Menschen dazu auffordert zu melden, wie viele Glühbirnen sie durch Energiesparlampen ersetzt haben. Nachdem ich die ausgefüllte Maske abgeschickt hatte, kam diese aufmunternde Nachricht zurück:
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, 4 Glühbirne(n) zu ersetzen«, hieß es da. »Ihre jährliche Ersparnis beträgt schätzungsweise 24,12 Dollar. Durch Ihr Handeln werden etwa 223 Kilogramm Treibhausgase weniger pro Jahr in die Atmosphäre gekotzt.« Oh – so professionell, aber scheuen sich nicht, das Wort »kotzen« zu verwenden … sehr sympathisch. Andererseits, 24 Dollar? Mehr nicht? Das ist noch nicht mal die halbe Monatsmiete für mein Kabelfernsehen. Wenn ich doch Mutter Natur einfach ein paar Bier ausgeben könnte und damit quitt mit ihr wäre.
10. APRIL , 41. TAG
Nur noch Fleisch aus biologischer, hormonfreier, artgerechter Haltung (möglichst regionaler Herkunft), und das auch nur höchstens einmal pro Woche
Seit meinen Collegetagen habe ich eine immer mal wieder aufflammende Affäre mit Peter Singer. Nicht wortwörtlich, natürlich. Aber der Autor von Befreiung der Tiere schlich sich irgendwann gegen Ende meiner Highschoolzeit in mein Leben und nimmt seither einen festen, aber mal mehr, mal weniger großen Platz in meinem Herzen und in meiner Seele ein. Unser längstes Tête-à-Tête währte etwa vier Jahre, damals beeindruckten mich seine Ansichten über das Leiden der Tiere so stark, dass ich es immer schwieriger fand, ein Steak zu essen, ohne Blut zu schmecken, und bei Schwein erinnerte mich der Geschmack an, ja, Menschenfleisch (ich finde bis heute, dass alles vom Schwein nach Mensch schmeckt – nicht dass ich je Menschenfleisch probiert hätte, aber ich weiß, dass uns diese Tiere genetisch am ähnlichsten sind; denken Sie das nächste Mal daran, wenn Sie in ein Schinkenbrot beißen, und ich garantiere Ihnen, dass es Ihr letztes war). Meine erste Liaison mit Singer fand allerdings ein abruptes Ende, als ich ein bisschen betrunken war und ausgetrickst wurde: Ich war in einer Bar, und dieser hinreißende 21-jährige Ingenieurstudent drückte mir eine Flasche kaltes Bier in die Hand und stellte eine Platte heiße Chicken Wings vor mich hin. Widerstand war zwecklos. Ich tauchte die Hand in die verführerischen Teile des knusprig frittierten Kadavers, zog einen der fleischigeren Hähnchenflügel heraus und biss ein großes, sündiges Stück ab. Überraschenderweise empfand ich kaum Reue, und so kehrte ich in den nächsten paar Monaten ganz allmählich zu meiner fleischfressenden Lebensweise zurück, zuerst heimlich in Restaurants, dann offen und unbekümmert auch beim Lebensmitteleinkauf.
Doch als ich ein Jahr später ein Philosophie-Seminar über moralische Fragen belegte, begegneten Singer und ich einander wieder, und ich war gezwungen, mich meinen Gefühlen in einer akademischeren Umgebung zu stellen. Nachdem ich die Dinge nun intellektueller betrachtete, dauerte es nicht lange, und ich
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