Nackt schlafen ist bio
ich bin sicher, es lohnt sich.
Von Ramallah nach Ávila, Spanien. Als ich vor kurzem die Website eines Reiseschriftstellers durchstöberte, entdeckte ich die in Madrid ansässige Firma Vaughan Town. Trotz ihres grässlichen Namens macht sie ein umwerfend cooles Angebot: Spanier, die ihr Englisch verbessern wollen, verbringen eine Woche in einer Villa im Westen ihres Landes, wo sie sich mit Menschen aus Kanada, den Vereinigten Staaten, England und Australien auf Englisch unterhalten und etwas dafür bezahlen. Die englischen Muttersprachler bekommen für ihren Aufenthalt zwar kein Geld, aber die Kosten für Unterkunft, Essen, Getränke und den Transfer von und nach Madrid werden von der Firma übernommen. Das klang fast zu schön, um wahr zu sein, aber wie schlimm konnte eine kostenlose Woche im Westen Spaniens schlimmstenfalls werden?
Von Ávila nach Portland, Oregon: Auf Treehugger.com wirbt unten auf der Seite eine kleine Anzeige für eine Nachhaltigkeits- & Bewegungsenergie-Fahrradtour. Auch nicht gerade der prickelndste Name, aber es klingt interessant: Eine Fahrradtour durch die Täler Oregons, immer unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Das Essen ist vegan, und die Radler lernen alles Mögliche kennen, von der biologischen Milchviehwirtschaft bis hin zu Komposttoiletten. Ich schickte den Leuten dort eine E-Mail und fragte nach einem Journalistenrabatt. Falls es sich realisieren lässt, ist es die perfekte Gelegenheit, mehr über das grüne Völkchen an der Westküste zu erfahren, gleichzeitig ein bisschen Sport zu treiben und neue Leute kennenzulernen.
Von Portland nach Muskoka, Ontario: Wenn ich zehn Tage in England verbringe, fünf in Palästina, eine Woche in Spanien, zehn Tage in Oregon und zwischen den Flügen noch ein paar Tage in Toronto, bleibt mir eine Woche, bevor ich wieder ins Büro muss. Meine Eltern überlegen, Ende August eine Hütte oben im Norden in Muskoka zu mieten, was der ideale Ort wäre, um auszuspannen und nichts zu tun. Ich könnte all die Blogkommentare lesen, die ich verpasst habe, mir neue Aufgaben für meinen Umstieg auf Grün überlegen und mich mental auf den Wahnsinn des Toronto-Filmfestivals im September einstimmen.
Sollte das alles tatsächlich reibungslos klappen, könnte ich mir überlegen, ob ich nicht ein Reisebüro eröffnen wollte. Die geplante Route ist zwar abstrus, zugleich aber brillant, anspruchsvoll und locker – und ich fliege dabei so viel in so kurzer Zeit wie wahrscheinlich nie wieder: 17 270 Meilen, das macht 1 570 Liter Kerosin und damit einen CO 2-Ausstoß von über drei Tonnen, also Millionen Tonnen Schuldgefühle. Wieder einmal stehe ich als üble Heuchlerin da: Wie um alles in der Welt kann ich mich als umweltbewusster Neohippie aufspielen, der seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern will, und dann losziehen und solche Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten, nur weil ich ein paar Freunde treffen, ein paar neue Orte kennenlernen und meine Haut wieder einmal mit einer besten Feindin von früher, der Sonne, vertraut machen will? Sämtliche 365 ökologischen Änderungen meines Lebensstils machen nicht ansatzweise 365 Sekunden in einem Düsenflugzeug wett.
Doch je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass alle möglichen Varianten, dieses Dilemma zu umschiffen – also via Internet und Webcam in Kontakt mit Familie und Freunden zu bleiben, Englisch in Toronto statt in Spanien zu unterrichten, über den Nahost-Konflikt in der Zeitung zu lesen – einfach kein vollwertiger Ersatz sind. Weder kann ich den 50. Geburtstag meiner Tante online feiern noch meine beste Freundin mit einer Mail umarmen oder die gewaltigen Ausmaße der Grenzmauer im Westjordanland mittels Fotos erfassen, geschweige denn mir den Geschmack einer frisch gepflückten Pflaume aus biologischem Anbau in Corvallis, Oregon, anhand von Berichten vorstellen. Manches im Leben muss man eben live erfahren, und je weiter ich mich von meinem sicheren, reglementierten Leben hier in Toronto entferne, desto direkter, unverbildeter und eindrücklicher werden meine Erfahrungen sein.
Ich dachte an Al Gore und all die Kritik, die er einstecken muss, weil er praktisch alle zwei Tage in eine andere Stadt oder in ein anderes Land fliegt, um dort Eine unbequeme Wahrheit vorzustellen. Einerseits stimmt natürlich, dass er wohl nicht immer höchstpersönlich an jedem dieser Orte werben müsste, aber was wäre andererseits, wenn er nur an seinem Schreibtisch gesessen, die ganze Zeit
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