Nackt schlafen ist bio
der einen fair gehandelten Schokoladenespresso trank. Wir saßen an einem Dreiertisch – ein Stuhl für ihn, einer für mich, einer für unsere Fahrradhelme –, und ich lauschte seinen Ansichten über alles und jedes, angefangen beim grünen Paradox der Kartoffelchip-Herstellung …
»Wir haben Kartoffelchipfabriken, die mit Solar- und Windenergie betrieben werden, aber hallo: Ist es nicht eigentlich grundverkehrt, überhaupt Kartoffelchips zu essen? Das ist wie Umweltschutzkosmetik für eine Waffenfabrik!«
… über die Bedeutung grüner Politiker …
»David Suzuki ist deprimierend und Eine unbequeme Wahrheit total langweilig.«
… bis hin zur Ächtung als wichtigem Kampfmittel beim Umweltschutz: »Inzwischen schämen sich die Leute, wenn sie einen Hummer fahren. Gut so. Ich bin sehr dafür, ihnen die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.«
Als das Gespräch zu den ökonomischen Vorteilen von Fertighäusern überging, war ich nicht mehr ganz bei der Sache, doch plötzlich hörte ich ihn etwas über Spermien sagen.
Ja, ich hatte richtig gehört.
»Sagt man den Leuten, dass ihr Duschvorhang möglicherweise ihre Spermienzahl senkt, schon hören sie alle zu«, meinte er. Offenbar war nicht zu übersehen gewesen, dass ich mit den Gedanken woanders gewesen war.
Er erklärte, wie die Phthalate, die bei der Herstellung von Polyvinylchlorid – das Material, aus dem die meisten Plastikduschvorhänge gemacht sind – eingesetzt werden, im Experiment Spermien- DNA geschädigt haben. Inzwischen wurde PVC als krebserregend eingestuft, man verbindet damit ein erhöhtes Risiko für Hirntumore, Rückenmarktumore und … Impotenz.
Zwar machte ich mir wegen meiner Spermienzahl nicht allzu große Sorgen, aber die Vorstellung, jeden Morgen die Dämpfe eines krebserregenden Duschvorhangs einzuatmen, war unangenehm genug. Also radelte ich schnellstmöglich heim, riss meinen vergammelten Duschvorhang herunter, nahm ein Leihauto und fuhr zu IKEA , um ein PVC -freies Modell zu erstehen, das gleich zwei meiner Kaufvoraussetzungen erfüllte: Es war so schick, wie sein schwedischer Name »Näckten« versprach, und mit einem Preis von 1,99 Dollar auch billig.
4. JUNI , 96. TAG
Nackt schlafen
Zum ersten Mal nackt geschlafen habe ich in dem Herbst, als ich in die zwölfte Klasse ging. Ich war mit Eric zusammen, einem kleinen, exzentrischen jüdischen Jungen, der sich nur selten altersgemäß benahm. Damit will ich nicht sagen, dass er per se unreif war – vielmehr schien er sich nicht entscheiden zu können, ob er wieder ein Kind oder lieber ein 45-jähriger Literaturprofessor sein wollte. Es besteht übrigens ein witziger Zusammenhang zwischen Eric und meinem Öko-Jahr: Sein Großvater gründete das Unternehmen NOMA (das dann Erics Mutter gehörte und von ihr geführt wurde), das in Toronto – und in Nordamerika überhaupt – einen hohen Marktanteil bei Lampen und Leuchtkörpern hat. Zwar wurde es schon vor etlichen Jahren von einem anderen Unternehmen übernommen, aber die Marke NOMA ist noch immer allgegenwärtig, bei LED -Weihnachtsbeleuchtung ebenso wie bei den warmweißen Energiesparlampen, die ich jetzt neben meinem Bett habe; wenn ich sie ein- und ausschalte, schwingt also immer ein klein bisschen sentimentale Erinnerung an meinen Exfreund mit.
Doch zurück zum Nacktschlafen: Als ich mit Eric ging, war ich alt genug, um Auto zu fahren, durfte aber noch nichts trinken; daher überließen mir meine Eltern ihr Auto, wenn ich ihn abends besuchen wollte. Meistens unterhielten wir uns und alberten in seinem Zimmer herum, bis wir irgendwann gegen vier Uhr morgens in den Schlaf dämmerten. Dann aber schrillte mein innerer Panik-Wecker, worauf ich aufstand, meine herumliegenden Klamotten zusammensuchte und überstreifte, mich aus Erics Haus schlich, heimfuhr, auf Zehenspitzen mein Elternhaus betrat und wünschte, ich wäre ein paar Kilo leichter, während ich die knarrende Treppe zu meinem Zimmer hinaufschlich.
Was mir irgendwann auffiel, während ich halb schlafwandelnd in meine Kleider schlüpfte, war, dass Eric immer im Bett blieb, auch wenn er nackt war. Eines Nachts fragte ich ihn: »Willst du nicht aufstehen und dir einen Schlafanzug anziehen? Oder wenigstens eine Unterhose?«
»Nö«, ächzte er. »Es ist viel bequemer, wenn man nichts anhat. Da knüllt nichts und verdreht sich nichts, und es kratzen einen keine Etiketten im Nacken. Das ist das einzige Wahre. Echt. Probier’s mal aus.«
»Aber was ist im Winter, wenn
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