Nackt schlafen ist bio
bevor er meinen Urlaub genehmigte. (Es mag natürlich hilfreich gewesen sein, dass ich einen Zeitraum gewählt habe, in dem in der Filmbranche für gewöhnlich wenig los ist, und dass er außerdem ein paar freie Mitarbeiter an der Hand hatte, die für mich einspringen konnten; und selbstverständlich würde ich mit frischem beruflichen Enthusiasmus zurückkommen, versprochen.)
Da mein Ressortleiter aber nicht blöd ist, fand er eine Möglichkeit, wie ich in dieser Zeit trotzdem Geschichten abliefern konnte.
»Was halten Sie davon, aus Ihrem Blog eine Kolumne zu machen?«, fragte er in einer E-Mail nur wenige Minuten nachdem ich mit ihm gesprochen hatte. »Wir würden sie Mein grünes Jahr nennen, sie würde jeden Donnerstag erscheinen, und natürlich bleiben alle Rechte bei Ihnen.«
Hoppla, was war denn das? Der Herausgeber war nicht an einer Öko-Kolumne interessiert gewesen, der Chef vom Dienst ebenso wenig, aber mein direkter Vorgesetzter, der Redakteur für Kunst und Leben, zu dem ich offensichtlich als Erstes hätte gehen sollen, stand mir zur Seite.
Ich schrieb zurück, dass ich das Angebot annähme, und fragte, ob er vielleicht im Grunde seines Herzens auch ein Umweltschützer sei.
»Eigentlich hoffe ich, dass wir so vielleicht mehr Anzeigenkunden kriegen«, erwiderte er.
Das war nun nicht gerade die Antwort, die ich erwartet hatte, obwohl ich ja bei einer konservativen Zeitung arbeitete, die darum kämpfte, aus den roten Zahlen zu kommen. Aber dann erinnerte ich mich an seine Einweihungsparty vor kurzem: Es hatte keine Papierservietten gegeben, und seine Verlobte, mit der er ein Modeblog führte, hatte erwähnt, dass sie sich dieses Jahr ausschließlich in Secondhandläden einkleiden wolle. Vielleicht war Ben ja einfach ein verkappter Umweltschützer.
Jedenfalls war ich hellauf begeistert – eine eigene Kolumne und sechs Wochen Urlaub! Plötzlich hatte ich den schärfsten Job überhaupt. Doch die freudige Erregung über sechs freie Wochen ging rasch in Stress über. Es gab so viel, was ich tun, so viele Orte, die ich sehen, so viele Menschen, die ich besuchen wollte – ich fühlte mich wie als Kind, als man mir erklärte, ich dürfe nach der Schule nur eine Fernsehsendung anschauen und von den 31 Sorten in der Eisdiele, die ich alle liebend gern durchprobiert hätte (na ja, vielleicht bis auf »Tigerschwanz«), nur eine aussuchen. Und ich musste ja nicht nur einen Urlaub planen, der bei minimalen Kosten ein Maximum an Erfahrungen brachte, sondern mir gleichzeitig überlegen, wie sich das mit meinem grünen Jahr in Einklang bringen ließ. Denn dass ich es ökologisch rechtfertigen konnte, einfach zu all den Orten zu reisen, die ich nun mal gern aufsuchen wollte, war leider, leider so utopisch wie ein Umzug der Post in die Innenstadt oder dass sie in Solarenergie investierte.
Aber durfte ich wirklich zulassen, dass mir Schuldgefühle diese Chance vermasselten? Wie oft würde sich mir eine solche Gelegenheit bieten? Seufzend betrachtete ich die Reiseroute, die ich nach dem Studium verschiedener Flugpläne und einiger Termin-Jongliererei zusammengestellt hatte. Falls ich es durchzog, würde der großartigste aller Sommerurlaube folgendermaßen aussehen: Von Toronto nach London, wo ich meine Freundin Kelly besuchen wollte, die bei der Post als Theaterkritikerin gearbeitet hatte und jetzt beim Guardian war, außerdem meine älteste Freundin Kate, die in derselben Straße wie ich aufgewachsen ist und jetzt eine Restaurantfachschule besucht. Meine Familie wollte ebenfalls im Juli nach England reisen, dort in den Cotswolds den Geburtstag meiner Tante feiern und im Norden, in Sunderland, meine Großeltern besuchen.
Von London nach Ramallah. Wenn ich von Sunderland nach London zurückgekehrt war, konnte ich dort eine Maschine nach Tel Aviv besteigen und dann über die Grenze ins Westjordanland zu Jacob nach Ramallah fahren. Er versucht seit fast zwei Jahren, mich zu einem Besuch zu überreden, außerdem handelt es sich um einen Teil der Welt, von dem ich jeden Tag lese, ohne ihn je gesehen zu haben. Um mir den Nahen Osten anzuschauen, ist der Zeitpunkt ideal, da einer meiner Freunde dort lebt, der die Gegend, die Geschichte, die Sprachen und die Standpunkte beider politischer Seiten kennt. Abgesehen davon ist Jacob nicht nur der klügste Mann, den ich kenne, sondern spricht auch fließend Hebräisch und Arabisch und kann in weniger als 48 Stunden eine Rundfahrt organisieren. Es ist zwar eine weite Reise, aber
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