Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
Vom Netzwerk:
Gemurmel hinein. Der Bettnachbar schlief bereits, und sein leises Schnarchen stand im Gegensatz zu der allgemeinen Aufregung ringsumher. Wenn die Amerikaner erst mal überm Rhein sind, dann sind sie auch bald in Thüringen, und dann kann es nicht mehr lange dauern!
ES!
– Was denn? – Was konnte dann nicht mehr lange dauern? In dem Wort lag etwas verborgen. In ihm waren die Jahre der Haft, der Hoffnungen und Verzweiflungen zu einer gefährlichen Ladung zusammengepresst, das Wort wiegte sich, klein und schwer,wie eine Handgranate in der Faust, und wenn
es
so weit sein wird … Rings um Höfel flüsterte und raunte es. Friedlich schniefte der Nachbar, und Höfel ertappte sich, dass auch er daran dachte, dass
es
nicht mehr lange dauern werde, und man könnte vielleicht das Kind da hinten im Winkel … Das Geflüster, dem er nur mechanisch zuhörte, hatte ihn in etwas hineingewiegt, was so angenehm war, so angenehm wie jene fernen fremden Hände … Plötzlich riss Höfel die Augen auf und warf sich mit einem Ruck herum. Nein, fort damit. Fort! Das Kind musste weg, morgen, übermorgen!
     
    Standartenführer Alois Schwahl, der Lagerkommandant, befand sich an diesem Abend mit den beiden Lagerführern Weisangk und Kluttig noch in seinem Dienstzimmer. Schwahl, ein untersetzter, zur Dicklichkeit neigender Sechziger, mit schlaffen Backen im runden Gesicht, hatte die Angewohnheit, während des Sprechens um ein Möbelstück herumzugehen, deshalb stand ein massiger Schreibtisch in der Mitte des protzig eingerichteten Raumes. Der Kommandant schien ein Mann der Festreden zu sein. Seine Worte begleitete er stets mit ausladenden Gesten, die er durch eindrucksvolle Pausen unterstützte. Der Rheinübergang hatte ihn, noch mehr aber Kluttig, in einen Zustand nervöser Gereiztheit versetzt. Auf dem Sofa hinter dem geschnitzten Konferenztisch saß Weisangk, der Sturmbannführer, mit ausgegrätschten Beinen, die unvermeidliche Flasche französischen Beutekognaks vor sich, und hörte der Auseinandersetzung zu, die zwischen Schwahl und Kluttig entbrannt war. Weisangk hatte bereits zu viel getrunken. Mit trüben Doggenaugen verfolgte er jede Bewegung seines Herrn.
    In Voraussicht kommender Ereignisse, die dem Rheinübergang folgen würden, hatte Schwahl den Plan gefasst, aus Häftlingen einen Sanitätstrupp bilden zu lassen, der wegen ständiger Fliegeralarme und eines drohenden Angriffs aufsLager zur Unterstützung der SS eingesetzt werden sollte. Die Bildung des Trupps war Anlass zu der Auseinandersetzung gewesen, die sich immer mehr zuspitzte. Der knochighagere Kluttig, ein uninteressanter Mensch von etwa 35 Jahren, mit überlanger, knollig auslaufender Nase, stand vor dem Schreibtisch, und seine kurzsichtigen, arg entzündeten Augen stachen giftig durch die Brillengläser. Zwischen ihm und dem Kommandanten bestanden einige unüberbrückbare Gegensätze. Kluttig verbarg es nicht, dass er vor Schwahl keinen Respekt hatte. Dessen Befehle nahm er immer nur mit hochmütigem Schweigen entgegen, und wenn er sie letzten Endes doch ausführte, so geschah es nur aus der einfachen Tatsache der Rangüberlegenheit Schwahls als Kommandant und Standartenführer heraus. Schwahl kam gegen Kluttig nur unter Einsatz seiner Überlegenheit als Rangoberster an, uneingestanden empfand er in dessen Gegenwart quälende Minuskomplexe. Er mochte Kluttigs Draufgängertum nicht und neidete es ihm zugleich.
    Schwahl war feig, unentschlossen, unsicher, doch war er überzeugt, Kluttig, dem ehemaligen Inhaber einer kleinen Plissieranstalt, an diplomatischer Begabung überlegen zu sein. Kluttig mussten selbstverständlich alle Voraussetzungen für solche Vorzüge fehlen, die sich Schwahl in 30-jähriger Dienstzeit als Zuchthausbeamter erworben hatte. Er hatte es bis zum Inspektor gebracht. In früherer Zeit hatten sie sich an Saufabenden ihrer Vergangenheit wegen gelegentlich gefrotzelt, nannten sich »Zuchthausbulle« und »Plissierfritze«, ohne vorauszusehen, dass dieses Wissen einmal in gefährliche Gehässigkeit ausarten würde. An diesem Abend geschah es.
    Anfangs ging der Streit noch um die Besetzung des Sanitätstrupps. Kluttig hatte gegen Schwahls Absicht aufbegehrt, dafür nur langjährige politische Häftlinge zu verwenden. Als Kommandant konnte es sich Schwahl leisten, den ehemaligen Geschäftsinhaber gönnerhaft zu belehren.
    »Ihnen fehlen Menschenkenntnis und Weitblick, mein Lieber, man muss sich die Disziplin der Kommunisten zunutze machen. Von denen

Weitere Kostenlose Bücher