Nackt unter Wölfen
geht uns keiner stiften. Die halten zusammen wie die Kletten.« In Kluttig siedete es bereits. Seine Entgegnungen wurden immer schärfer, und seine Stimme bekam jenen hässlichen und schneidenden Ton, den Schwahl insgeheim fürchtete, weil er ihn zu sehr an die Stimme seines früheren Zuchthausdirektors erinnerte.
»Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass die Verwendung von Kommunisten in dieser Situation gefährlich ist, nehmen Sie andere Häftlinge dafür.« Schwahl plusterte sich auf. »Bababaaahh«, machte er, blieb vor Kluttig stehen, ruckte sich in den Schultern zurecht und reckte den Bauch vor: »Andere Häftlinge? Berufsverbrecher? Ganoven?«
»Im Lager existiert eine geheime Organisation der Kommunisten!«
»Was können die schon unternehmen?« Schwahl ging wieder um den Schreibtisch herum.
»Es gibt im Lager einen geheimen Sender!« Unvermittelt trat Kluttig an den Schreibtisch heran und stoppte damit Schwahls Rundgang ab.
Der Kommandant spielte großartig den gönnerhaften Vorgesetzten, er nestelte an einem Knopf von Kluttigs Uniform: »Sie wissen, ich habe den vermutlichen Sender anpeilen lassen. Ergebnis? Null! Verlieren Sie nicht die Ruhe, Herr Hauptsturmführer.«
»Ich bewundere
Ihre
Ruhe, Herr Kommandant!«
Sie maßen sich mit kalten Blicken. Schwahl hatte das Empfinden, als straffe sich sein Brustkasten, im gleichen Augenblick aber sackte die künstlich gehaltene Beherrschung in ihm zusammen, und er schrie plötzlich los: »Ich verliere nicht die Nerven wie Sie! Wenn ich befehle, ist das ganze Lager in einer halben Stunde zusammengeschossen! Das ganze Lager, jawoll, samt Ihrer Kommunistenorganisation!«
Aber auch mit Kluttigs Beherrschung war es zu Ende. Aus seinem knochigen Gesicht entwich alles Blut, und er schrie auf Schwahl ein, dass Weisangk erschrocken zwischen die Streitenden sprang und Kluttig abzudrängen versuchte: »Stad soan musst, Kluttig, stad soan …«
Kluttig stieß den Sturmbannführer verächtlich von sich: »Weg, du Trottel!« und schrie erneut auf Schwahl ein: »Vielleicht haben die Kerle schon Waffen, und Sie unternehmen nichts dagegen? Vielleicht haben sie mit dem Amerikaner schon Verbindung aufgenommen? Ich verweigere Ihnen den Befehl!«
Weisangk versuchte erneut zu vermitteln: »Du kriegst gar koan Befehl nicht, den kriegt doch der Reineboth …«
Doch er erreichte nur, dass ihn der weißglühende Kluttig anschrie: »Halt deine Schnauze!«
»Hauptsturmführer!«, brüllte Schwahl mit bebenden Backen.
»Ich lasse mir nicht befehlen …!«
»Noch bin ich Kommandant!!!«
»Ein Sch…«
Kluttig brach jäh ab, drehte sich um und sank auf das Sofa nieder, auf dem Weisangk gesessen hatte.
Ebenso unvermittelt wie Kluttig war auch Schwahl ernüchtert. Er trat an den Konferenztisch, stützte die Hände flach auf die Hüften und fragte: »Was wollten Sie eben sagen?«
Kluttig rührte sich nicht. Er saß da mit vorhängendem Kopf, die schlaffen Arme auf den gespreizten Knien. Schwahl schien nach diesem Exzess keine Antwort zu erwarten. Er ging nach der Kredenz in der Ecke, brachte einige Gläser herbei, setzte sich an den Konferenztisch und goss ein. »Trinken wir einen auf den Schreck.«
Gierig leerte er das Glas. Weisangk stieß Kluttig an und hielt ihm den Kognak hin: »Sauf, dös beruhigt.«
Unwillig nahm Kluttig dem Sturmbannführer das Glas weg und kippte es hinter wie Medizin, finster blickte er vor sich hin. Die Beleidigungen nahmen sie sich nicht weiter übel, und die Ernüchterung schien einer seelischen Erschlaffung zu weichen. Schwahl griff nach einer Zigarette und lehnte sich im Sessel zurück. Er rauchte mit tiefen Zügen. Kluttig starrte noch immer vor sich hin, und in Weisangks ödem Gesicht war kein Gedanke zu lesen. Schwahl sah von einem zum andern, und mit einem Anflug von Galgenhumor sagte er schließlich: »Tja, meine Herren, der Bart ist ab.« Kluttig schlug mit der Hand auf die Tischplatte und kreischte hysterisch auf: »Nein!« Sein Unterkiefer schob sich vor. »Nein!« Schwahl spürte Kluttigs innere Panik. Er warf die Zigarette fort und stand auf. Mit Behagen genoss er, dass er sich wieder in der Gewalt hatte. Hinter seinem Schreibtisch hing eine große Karte. Schwahl trat an sie heran und betrachtete sie mit Kennerblick. Dann tippte er auf die Nadeln mit den bunten Köpfen. »So steht die Front, so und so und so.« Er drehte sich um und stützte die Hände steif auf den Schreibtisch. »Oder wie bitte?«
Weisangk und Kluttig schwiegen.
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