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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Abkühlen standen: auf den Fensterbänken, auf dem Fernseher, sogar auf den Stühlen im Esszimmer. Der Mann sagte nie ein Wort, aber er trank auch keinen Schluck mehr. Er buk nur und starb schließlich an einem stressbedingten Herzinfarkt.
    Ich habe den ganzen Sommer lang auf dem Dix Hill gearbeitet und im nächsten Jahr wieder, bis ich, mit siebzehn, einen bezahlten Job als Tellerwäscher in einer Cafeteria annahm, deren Firmenpolitik es war, ambulante Patienten zu beschäftigen. Dies waren sowohl gegenwärtige als auch frühere Dorotheaner, erwachsene Männer, die gelegentlich angesichts einer angeschmurgelten Kasserolle in Tränen der Panik ausbrachen. Die gingen dann nach hinten und versteckten sich im Lagerraum oder, noch schlimmer, im Kühlhaus.
    Von der Schule ging ich aufs College und bewarb mich, um leichter meinen Schein machen zu können, bei einem staatlichen Krankenhaus in der Nähe. Auf Dix Hill hatte ich als Pfleger ohne Schlüsselgewalt funktioniert. Ich hatte Verantwortung zu tragen gehabt, hier dagegen war ich nicht mehr als ein menschlicher Zigarettenautomat. An zwei Abenden pro Woche besuchte ich die stinkende, stagnierende Station und machte Small talk mit Frauen, die nichts mit mir zu tun haben wollten. Zu der Zeit studierte ich Italienisch und versuchte mithilfe einer paranoiden Toskanerin namens Paola Konjugation zu üben, einer Patientin Ende vierzig, mit permanent blaugeschlagenem Auge und ausgeprägtem Schnurrbart. An manchen Abenden konnte Paola sehr reizend und hilfsbereit sein, an anderen schien sie wahrhaft besessen, warf den Fernseher um, attackierte ihre Mitpatientinnen und bewarf die Schwestern mit brennenden Zigaretten. Ich konnte ein paar angenehme Stunden mit jemandem verbracht haben, um drei Tage später herauszufinden, dass man sich an nichts erinnerte. Bei Dorothea Dix hatte ich sämtliche Stationen durchlaufen, während ich hier die gesamte Zeit mit derselben Gruppe zusammen war, Woche um Woche, und niemandem schien es jemals besserzugehen. La Donna saß immer noch vor dem Fernseher und prahlte damit, wie gut sie Lee Majors kenne. Charlotte flüsterte ständig in einen Plastikbecher, den sie sich danach an den Bauch hielt, um mit etwas zu kommunizieren, was sie als ihren außerirdischen Fötus identifizierte; es war zum Wahnsinnigwerden. Ich wollte diese Leute am Hinterkopf packen, sie mit der Stirn gegen die Wand donnern und anschreien: «Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen, und werd gesund, verdammt noch mal!» Dann bemerkte ich die blauen Flecken, mit denen sie übersät waren, und mir wurde klar, dass es schon mal jemand mit dieser Herangehensweise versucht hatte.
    An meinem letzten Abend im Krankenhaus nahm ein drahtiger, manischer Patient eine freiwillige Helferin als Geisel. Er hielt ihr ein Messer an die Kehle und forderte Freiheit. Die Polizei wurde gerufen und versammelte sich auf dem verschneiten Hof, um ihre Freilassung zu erörtern.
    «Ich will ein Mädchen», rief der Mann. «Und zwar eins, das hübscher ist als dieses. Ich will das hübscheste Mädchen, das ihr finden könnt, und ich will, dass es ein Bikini anhat. Dann will ich, dass ihr uns in einem Motel in Akron anmeldet, und zwar um … Ich sage dann noch Bescheid, für wann. Dann will ich noch einen Wohnwagen mit Gardinen und einem Wasserbett und einen Laster mit neuen Reifen. Und einen Wintermantel mit Reißverschluss. Keine Knöpfe! Und einen Terrassengrill will ich, mit Haube!»
    Der Anführer der Polizei stimmte allen Forderungen zu und gab den vier Polizisten, die hinter dem anspruchsvollen Patienten heran krochen, heimliche Signale. «Außerdem werde ich ein Aquarium brauchen. Und einen Fön für meine Frisur und dann will ich noch eine Garnitur geschliffene Kelchgläser und ein paar ordentliche große Kaffeetassen.»
    Die Polizisten überwältigten ihn von hinten, und selbst als sie ihn bereits in das wartende Einsatzfahrzeug schleppten, äußerte er weitere Wünsche. Zehn Jahre nach meinem ersten Volontariat kehrte ich nach Dix Hill zurück. Eine Freundin war mit einem Mann ausgegangen, der dann komisch wurde. Sie hatten in einem beliebten Restaurant in Raleigh gegessen, als er den plötzlichen Drang verspürte, die Leute am Nachbartisch mit geröstetem Maisbrot zu bombardieren. Der Geschäftsführer wurde gerufen und es gab eine Schlägerei. Es stellte sich heraus, dass der Mann bereits einen Klinikaufenthalt hinter sich hatte, in einer Anstalt in der Nähe von Pittsburgh.
    Ein Wachmann

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