Nackt
führte uns durch eine vertraute Reihe von verschlossenen Türen und der junge Mann kam heraus. Sein Gesicht war von den Drogen aufgedunsen, und die Zunge hing ihm aus dem Mund, so dick und schaumig wie ein Stück Seife. Meine Freundin meinte, er könne durchaus geheilt werden, mit Bettruhe und Willenskraft.
«Der Geschäftsführer in dem Restaurant hatte aber auch selbst schuld», sagte sie und ergriff seine Hand. «Bald kriegt er die gerechte Strafe. Wichtig ist jetzt nur, dass du wieder gesund wirst.» Sie streichelte seine verschorften Knöchel. «Dir geht es schon viel besser, Danny. Hörst du, was ich dir sage? DIR GEHT ES SCHON VIEL BESSER.»
Ich mag Jungs
K urz vor Abschluss der achten Klasse wurde angekündigt, dass im Herbst in unserem County-Schulsystem eine Politik der Rassenintegration eingeführt wird. Durchgesetzt werden sollte sie mithilfe des erzwungenen Schulbustransports. Meine Spanischlehrerin brachte uns das auf eine Weise, von der sie hoffte, sie würde uns an ein innigeres Verständnis ihrer Schönheit und Großmut heranfahren, schonend bei.
«Ich entsinne mich, wie ich einst auf dem Rummelplatz um eine Tüte Speiseeis anstand», sagte sie und befingerte die drei Spuckesechser, die ihr klobiges, kompaktes Gesicht auf Stirn und Wangen einrahmten. «Da kam ein kleines farbiges Mädchen angerannt, zupfte mich am Rock und fragte, ob sie mein Haar berühren dürfe. ‹Ein einziges Mal nur›, sagte sie. ‹Nur einmal, damit es Glück bringt.› Nun weiß ich nicht, wie das bei euch ist, aber mir bedeutet mein Haar sehr viel.»
Die ganze Klasse nickte, um anzudeuten, ihr, der Klasse, bedeute ihr Haar ebenfalls sehr viel. Alle beugten sich vor, begierig zu erfahren, wie die Geschichte weiterging. Vielleicht hatte das kleine Negermädchen irgendwo eine Rasierklinge versteckt. Vielleicht war sie eine kleine Aufrührerin auf der Jagd nach einem weißen Skalp.
Ich bestaunte ihre Naivität. Wie alle ihre vorangegangenen Anekdoten, so befand sich auch diese Geschichte auf dem allerbesten Wege in den Arsch.
«Ich sah vorher nach, ob sie nicht vielleicht die Hände mit Süßigkeiten verschmiert hatte, und dann bückte ich mich und gestattete diesem kleinen farbigen Mädchen, dass es mein Haar berührte.» Die Augen der Lehrerin bekamen diesen weit abwesenden, betauten Blick, den sie sich für Augenblicke, von denen man gerne eine Ansichtskarte schreibt, aufsparte. «Dann berührte dieses kleine schokoladenfarbene Mädchen meine Wange mit der Hand und sagte: ‹Oh›, sagte es, ‹ich wäre auch gern so weiß und hübsch wie du.›» Sie hielt inne und stellte sich vor dem Lehrerpult in Positur, als stünde sie für ein Porträt Modell, welches die Bundesregierung für eine Briefmarke zum Gedenken an den Edelmut verwenden konnte. «Was wir uns deshalb merken wollen», sagte sie, «ist, dass diese Farbigen nichts auf der Welt so gern wären wie weiß.»
Das kaufte ich ihr nicht ab. Das war doch dieselbe Lehrerin, die, als sie ihre Schwangerschaft ankündigte, gesagt hatte: «Ich bete, dass mein Erstgeborener ein Junge wird. Ich will einen Jungen haben und danach vielleicht ein Mädchen, denn wenn es andersrum läuft, kann es leicht passieren, dass der Junge später komisch wird.»
«In dem Sinne ‹komisch›, dass er keine Arme und Beine hat?», fragte ich.
«Das», sagte die Lehrerin, «ist etwas ganz anderes als komisch. Das ist tragisch. Und du, mein Herr, hättest verdient, dass dir die Lippen zugenäht werden, wenn du so etwas Grausames und Hässliches sagst. Wenn ich ‹komisch› sage, meine ich ‹komisch› in diesem Sinne …» Sie entspannte ein Handgelenk und ließ die Hand schlapp herunterhängen. «Ich meine ‹komisch› im Sinne von ‹irgendwie komisch ›.» Sie trippelte durchs Zimmer, aber das hatte nicht den gewünschten Effekt, weil das mehr oder weniger ihre natürliche Gangart war, eine Serie kleiner Hüpfschritte, den Rücken durchgedrückt, sehr gerade, als balancierte sie etwas von beträchtlichem Wert auf ihrem leeren Schädel. Mein Mathelehrer in der siebten Klasse beherrschte eine viel bessere Version. Er schnappte sich die Handtasche einer Schülerin, stolzierte durch den Raum, klimperte mit den Wimpern und warf den Buben in der ersten Reihe Kusshändchen zu. «Hach, ist das heute wieder schwüüül», sagte er.
Aus Angst, selbst Aufmerksamkeit zu erregen, johlte und quiekte ich wie alle anderen und dachte die ganze Zeit: Der spricht von mir. Wenn ich mich über andere
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