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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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neben meinem Kopf, und ich hörte, wie Gelächter und laut aufgedrehte Musik in der Ferne verklangen.
    Als warmer, sicherer Ort war der Graben gar nicht übel. In faulende Blätter und Fetzen Papier gekauert, fragte ich mich, wie ich bei Curly so unrecht gehabt haben konnte. Ich hatte immer angenommen, er wäre ledig, weil er keine Frau finden konnte, die verzweifelt genug war, sich mit seiner Unreife abzufinden. Wäre alles anders gewesen, wenn ich ihn attraktiv gefunden hätte? Wenn er wie, sagen wir mal, William Holden in dem Film Picknick aussähe, hätte ich mir dann seinen überheizten Anhänger und seine Blödmannsgeschichten bieten lassen? Ich rief mir seine Kollektion künstlicher Penisse ins Gedächtnis zurück und begriff, dass die Antwort eindeutig Nein! lauten musste. Nach einem solchen Monster konnte der nächste Schritt nur darin bestehen, dass ich auf einem eingefetteten Hydranten saß. Bevor ich wusste, wie mir geschah, wäre ich zu einem jener Männer mittleren Alters geworden, die Windeln trugen und beim Gehen humpelten. Ich wusste, ich hatte in der Sortier- und Packfirma meine letzte Schicht gearbeitet. Es war nicht Curlys Schuld, aber es ist immer schön, jemanden zu haben, dem man sie geben kann. Wenn überhaupt, sollte ich ihm dankbar sein, weil er mir einen guten Vorwand zum Abhauen geliefert hatte. Plötzlich schien es eine gute Idee zu sein, die Brocken hinzuschmeißen und die Stadt zu verlassen. Zuerst wollte ich jedoch einfach ein Weilchen in diesem Graben liegen, gut in eine Damenjacke eingemummelt, und mich fragen, wo ich einen Fehler gemacht hatte.
    Seitdem die Mexikaner weg waren, war Hobbs’ Obstplantage ein trostloser Ort. Kurz nach Sonnenaufgang hinkte ich in meinen Anhänger und starrte aus dem Fenster auf die kahlen Bäume. Das Problem, wenn man eine Stadt verließ, war, dass man früher oder später in einer anderen ankommen musste. Ich nahm mir vor, irgendwohin zu fahren, wo es exotisch war, nach Portland vielleicht, oder nach Tacoma (Washington), aber tiefinnerst wusste ich, dass ich, sobald mein Bündel geschnürt war, nach North Carolina zu- rückkehren würde. Wenn ich nur noch ein bisschen länger hierbleiben konnte, entwickelte ich vielleicht die emotionalen Schwielen, die man brauchte, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen und allein ein neues Leben zu beginnen. Es war wie eine fiebrige Erkrankung: Nur noch ein paar Wochen und vielleicht wäre ich dann darüber hinweg gewesen. Nichts, so schien es, konnte einen in seinen Vorsätzen so schwankend machen wie eine Nacht im Straßengraben.
    Ich fuhr per Anhalter nach Hood River hinein, um meine Leihbücherei-Bücher zurückzugeben, und machte kurz bei der Firma halt, um zu erklären, dass ich meinen Job nicht mehr brauchte.
    «Yale», rief ich dem Vorarbeiter zu, um den Lärm des Generators zu übertönen. «Ich muss zurück nach Osten; ich habe einen Ruf als Gastdozent.»
    «Du hast dir deinen Ruf im Knast erpennt und musst jetzt zurück? Pass gut auf, wenn du dich beim Duschen bückst, weil dir die Seife weggefutscht ist. Also bis dann, wenn du wieder raus bist.»
    «Sieht aus, als ginge es zurück nach Hause», flüsterte ich der Bibliothekarin zu und überreichte ihr meine zerfledderten überfälligen Exemplare von Tal der Puppen und Rosemarys Baby. «Ich habe einen Ruf als Gastdozent nach Yale, und weil die Erntezeit sowieso vorbei ist, dachte ich, warum nicht?»
    «Bevor man verhungert», seufzte die Frau.
    Ich weiß nicht, warum ich überhaupt das Gefühl hatte, mich rechtfertigen zu müssen. Außer der rechtmäßigen Eigentümerin meiner rosa Jacke betraf mein Scheiden niemanden. Ich hatte mehrere Monate dort verbracht und es war nichts dabei herausgekommen. Da ich nicht die Art Mensch war, welche die Dinge ins Rollen brachte, musste ich mich von den Dingen überrollen lassen. Ich erwartete, dass sich mir die ganz großen Möglichkeiten eröffneten, und das hatten sie getan, in Form von einem Gewerkschaftsausweis und drei Dutzend künstlichen Penissen. In North Carolina würde es auch nicht anders sein als in Oregon. Ich dachte an diese Leute im Bus, die von einem beschissenen Ort zum nächsten fuhren und keinerlei Veränderung erwarteten, außer landschaftlich. Bald saß ich wieder neben ihnen, teilte mit ihnen meine Kartoffelchips und fand sie ganz toll.
    Ich war wieder in Richtung Odell unterwegs, als mich ein Mann in seinem Kombi mitnahm, der sich als Jonathan Combs, C. O. G., vorstellte.
    Ich fragte, was

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