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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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rechtes Bein, um Salbe auf den bandagierten Beinstumpf zu schmieren. «Hey, da oben, ich hoffe, ich komme nie vor Gericht. Die Beweisführung meines Verteidigers stünde nämlich nicht mal auf tönernen Füßen. HA!»
    Die religiöse Unterweisung wurde mit einem Charme vorgebracht, der rasch nachließ, wenn es an die Arbeit ging. Die Jade wurde auf einer unter Druck stehenden Säge in Scheiben geschnitten, an der ein Wasserschlauch angebracht war, der verhindern sollte, dass die Klinge zu heiß wurde. Jon schnitt den Stein in Scheiben, und es war mein Job, sie zu polieren. Dies geschah mit verschiedenen abgestuften runden Scheiben, die auf ein Rädchen passten, welches sich rasend schnell drehte. Sobald sie glatt waren, brachte ich die sechs Millimeter dicken Scheiben mit einem rotierenden Lederriemen auf Hochglanz. Durch die Reibung entstand ziemliche Hitze, und obwohl ich Handschuhe trug, ließ ich manchmal ein bereits ziemlich fortgeschrittenes Werkstück fallen, und es zerschellte auf dem Fußboden.
    «Du dämlicher, unbeholfener Esel», rief Jon und schlug mit seinen Stöcken gegen den Tisch. «Weißt du, wie viel Arbeit in dem Stück steckt? Du gottverdammter, blöder Köter!» Nachdem ich erschöpfend beschimpft war, trug er seinen Fall den Himmeln vor. «Hey, o Herr, warum behandelst Du mich so? Soll das ein Test sein? Hast Du mir diesen Schussel gesandt, um mir eine Lektion zu erteilen? Was hab ich getan, um diese stinkende Scheiße zu verdienen?»
    Die Tür, hinter der die Treppe zum Erdgeschoss lag, ging auf und eine Frau steckte den Kopf übers Geländer. «Bruder Jon, gibt es ein Problem?»
    «Das kann man wohl sagen. Dieser Scheißkerl hat gerade vier Stunden Schwerstarbeit auf den Scheißfußboden geschmissen. Das ist mein gottverdammtes Problem.»
    «Es tut mir sehr leid, das zu hören», sagte die Frau und hielt ihrer fünfjährigen Tochter die Ohren zu.
    Dies Szenario wiederholte sich bis zu dem Tag, an dem das Kind seine Mutter als «Arschgesicht» anredete, und es wurde angedeutet, Jon würde sich vielleicht eine etwas abgelegenere Werkstatt suchen wollen.
    «Schaff die Ausrüstung ins Auto», sagte er. «Bloß raus aus diesem Rattenloch.»
    Er fand ein anderes Studio, einen ehemaligen Kosmetiksalon am Stadtrand. Morgens zogen wir mit den Maschinen um und am Nachmittag zeichnete er bereits wieder den Umriss von Oregon auf polierte Jadescheiben und schnitt ihn mit seiner Bandsäge aus. Im Laufe unseres Arbeitstages wurden wir ziemlich oft von Jons Glaubensbrüdern unterbrochen, die hereinschneiten, um zu sehen, wie wir vorankamen.
    «Pete, Kimberley, hört mal zu. Für fünfundsiebzig Dollar könnt ihr so eine Uhr haben. Versucht nicht, mir das auszureden; das ist der Rabatt des Herrn, nicht meiner. Ich … Was war das?» Er blickte an die Zimmerdecke und legte beide Hände hinter die Ohren, als versuche er, aus einer Information schlau zu werden, die aus einem weit entfernten, knackenden Lautsprecher kam. «Was? Okay, wenn Du meinst.» Er wandte sich wieder an seinen Besuch und hob die Schultern. «Der Herr hat zu mir gesprochen und gesagt, wo ich gerade dabei bin, gibt’s die Batterien dazu. Was meint ihr? Fünfundsiebzig Dollar.»
    Ob er mit Phil und Dotty Frost sprach, mit Walter und Linda Tuffy, mit Hank und June Staples, mit den Mangums, den Stenzels oder den Clearwaters, die Reaktion war immer die gleiche: «Wir wissen das Angebot zu schätzen, Bruder Jon, aber es übersteigt leider ein bisschen unsere Barmittel.»
    «Dann machen wir eben ein Finanzierungsmodell; na, wie sieht’s aus?»
    Die Mitglieder lachten verhalten und versuchten, seinem Blick auszuweichen. «Da würden wir ja liebend gern mitziehen, wirklich wahr, aber die Bank sagt, wir haben bereits mehr Finanzierungsmodelle laufen, als uns guttut.»
    «Scheißknauser.» Jon stand am Fenster und winkte, während die Besucher aus der Einfahrt fuhren. «O Herr, warum hast Du mir diese geizigen, nichtsnutzigen Freunde gesandt?»
    Bis ich siebzehn wurde, war ich gezwungen worden, die Orthodoxe Kirche der Heiligen Dreieinigkeit zu besuchen. Der Gottesdienst wurde von einem Popen im Kittel abgehalten und erforderte endlose Runden von Stehen, Sitzen und Knien. Alle paar Stunden streunten die Messdiener mit Humpen schwelenden Weihrauchs durch die Gänge, und nacheinander fiel die Gemeinde, vom Fasten benommen, um wie die Fliegen. Weil ich nie verstehen konnte, was gesagt wurde, machte ich mir ein Bildnis von Gott, welches nicht zürnend,

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