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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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echt, aber ich war nicht in der Lage, Freundschaft zurückzuweisen. Allmählich mochte ich seine Gesellschaft und wünschte mir manchmal fast, wir könnten über etwas anderes als mich sprechen. «Sag mal, Dave, erzähl mir doch noch mal von dem Traum, den du gestern Nacht hattest, den mit den Schrumpfköpfen in der Eierpappe. Da steckt eine machtvolle Symbolik drin; vielleicht kriegen wir raus, welche.» Er war nicht der Hellste von der Welt, aber er trug das Herz am rechten Fleck.
    Curly arbeitete in der ersten Schicht als Gabelstaplerfahrer, oft bis spät abends, um Überstundengeld zu kriegen. Manchmal fuhr er nachts auch einfach zurück zur Fabrik, um mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Er sprach mit dem Vorarbeiter und ich wurde zum Sortierer befördert. Die entblätterten, funkelnden Äpfel zogen auf dem Band vorbei, und meine Aufgabe war es, die tollen von den ganz tollen zu trennen. Nie hatte jemand den Unterschied zwischen den beiden Kategorien erklärt. Ich versuchte, Gail und Dorothy zu fragen, aber die waren wütend, weil ich ohne längere Betriebszugehörigkeit befördert worden war, und ignorierten mich. Ich beobachtete sie und tat es ihnen gleich: Ich kaute Kaugummi, verschränkte die Arme und saß auf einem Hocker, bis ein Geschäftsführer in Sicht kam; an diesem Punkt begann ich, rasch und wahllos zu selektieren, und tat diesen Apfel auf das tolle Band und jenen auf das ganz tolle. Verdorbenes Obst wurde auf eine Rutsche geworfen und später zu Babynahrung verarbeitet. Die Gehaltserhöhung betrug fünfundzwanzig Cent die Stunde. Dieser Job war trockener als mein voriger, aber auch nicht aufregender.
    «Da hat sich doch jemand bis in die Mitte hochgeschlafen», hörte ich Connie bei der Kaffeemaschine Trish zuflüstern. «Als nächstes trägt er pelzgefütterte Handschuhe und hat ein Kissen unter seinem kleinen Popo.»
    Ich nahm an, dass von mir gesprochen wurde, da ich in der gesamten Firma Duckwall-Pooley der einzige Mitarbeiter war, der über etwas verfügte, was man hätte als kleinen Popo bezeichnen können. Curly hatte recht gehabt, was diese Frauen betraf: Sie waren genauso billig und engstirnig wie nur irgend möglich. «Bis in die Mitte hochgeschlafen.» Wenn ich wirklich bei der Arbeit geschlafen hätte, wäre ich doch im Ernst wohl kaum befördert worden, oder?
    «Das ist hier ein unbarmherziges Geschäft, mein Lieber, lass dir bloß nichts anderes weismachen», sagte Curly. «Du hast Glück, dass dir jemand den Rücken freihält. Die sind nur eine Herde dämlicher Schafe und eines Tages werden sie geschoren.»
    Ich war seit drei Wochen in der Fabrik, als Curly mich auf einen Drink in seinen Anhänger einlud. Er wohnte direkt außerhalb von Hood River in einem Doppelanhänger mit seiner Mutter zusammen, einer Frau, von der er oft sprach. «Ich habe Mutter erzählt, dass du gesagt hast, Dorothys Mund sieht aus wie eine Schussverletzung, und sie hätte sich bei Gott fast was getan, so sehr hat sie gelacht. Sie ist eine sehr lustige Dame, meine Mutter. Nichts findet sie so komisch wie einen guten Poch-poch-wer-ist-da-Ulla-Welche-Ulla?-Ulla-paloma-blanca-Witz. Kennst du auch so einen, der auch so zum Totlachen ist?»
    So verzweifelt, wie ich mich nach Gesellschaft sehnte, so klar war mir, dass ich es mit einem Versager zu tun hatte. In BWL schien Curly seine perfekte Karriere ausgemacht zu haben. Ich konnte ihn mir ganz leicht mit einem kurzärmeligen Hemd vorstellen, die Brusttasche von Kugelschreibern ausgebeult. Jemand kam an, fragte ihn, ob er mal bei den Stechkarten nach dem Rechten sehen könne, und dann sagte er wahrscheinlich etwas Doofes wie «Alles klar, keiner weiß Bescheid». Ich hatte versucht, ihn auf die richtige Bahn zu bringen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt bei jemandem, der glaubt, Auschwitz sei eine Biermarke.
    Er parkte den Kleinlaster in der Einfahrt vor seinem Anhänger, der unter einer Gruppe Tannen stand. Die Nacht war so kalt und klar, dass man den dampfenden Atem des heranstürmenden Schäferhunds sehen konnte.
    «Wo ist der King?», fragte Curly und kniete nieder, um sich das Gesicht lecken zu lassen. «Da ist er ja! Du bist doch der King, oder? Der Lieblingsking, der King aller Biere. Wer ist der King aller Biere? Ja, wo ist er denn? Wo ist er denn?» Er boxte dem Hund voller Zuneigung auf den Kopf und sagte dann: «So. Gut. Genug gespielt. Hau ab, King. Verzieh dich.»
    Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, kam der Hund zurück, drückte den

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