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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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noch was anderes geben, wo man wohnen konnte, vielleicht ein Zelt oder eine verlassene Auspuffwerkstatt, irgendwas, egal was, wo es ein bisschen heiterer war.
    Ich entsinne mich eines Besuchs, als sie sich ständig über ihr jüngst dahingegangenes Haustier ausließ, einen sturzgewöhnlichen Goldfisch, den sie auf dem einzigen Fensterbrett der Wohnung in einem Krug voll trüben Wassers hielt. Die Ya Ya war von der Arbeit nach Hause gekommen und entschied, als sie den Krug leer vorfand, dass der Fisch sich bewusst aus dem Fenster gestürzt hatte.
    «Er nicht mehr froh und denkt, er hat einen Selbstmord», sagte sie.
    «Begeht», sagte meine Mutter. «Er beging Selbstmord.» Sie warf ihre Kippe aus dem Fenster und starrte auf die vollgemüllte Gasse. «Man hat keinen Selbstmord, der Selbstmord hat einen. »
    «Okay», sagte die Ya Ya. «Aber warum er hat den Selbstmord? Ist hübsch, der Fisch. Warum er will das Leben wegnehmen?»
    «Du fragst, warum? », Meine Mutter blickte über ihre Sonnenbrille. «Mach die Augen auf und rate frisch drauflos.» Sie leerte den Krug ins Waschbecken. «Diese Wohnung ist eine Abraumhalde.»
    «Damit meint Sharon», sagte mein Vater, «dass ein Fisch nicht in diesen Kategorien zu denken vermag. Sie haben einen winzig kleinen kepháli und kriegen keine Depressionen.»
    Wenn er mit seiner Mutter sprach, benutzte mein Vater seine lauteste Stimme und ließ sich ins Pidgin-Griechische hinein- und wieder heraustreiben. «Der psári hat’s nicht besser gewusst. Es war nicht deine Schuld, Matéra, es war ein láthos. »
    «Er haben den Selbstmord und ich jetzt traurig manchmal.» Die Ya Ya starrte in die Ferne und seufzte. Ich stelle mir vor, dass sie mit dem Fisch gesprochen hat, ihn so gut sie konnte geliebt hat, aber ihre Zuneigung war, wie ihr Gekoche, frei von allem, was man als normal bezeichnen konnte. Sie betrachtete ihre Enkel, als wären wir Pfandbriefe oder Kommunalobligationen, etwas, das sich durch die schiere Majestät des rein Rechnerischen vermehren musste. Die Ya Ya und ihr Mann hatten ein Kind hervorgebracht, welches hinwiederum fünf abgeworfen hatte, einen Wohlstand, bestehend aus kernigen Landarbeitern, deren Bestimmung es war, ins Dorf zurückzukehren, um dort Oliven zu zerquetschen oder Windmühlen zu stukkatieren oder was man in ihrem Heimatort so machte. Sie streifte uns immer die Ärmel hoch, um unsere Muskeln zu untersuchen und runzelte angesichts unserer schwielenlosen Mädchenhände die Stirn. Im Gegensatz zu unseren anderen Großeltern, die uns fragten, in welche Klasse wir gingen oder was unser Lieblingsaschenbecher war, äußerte die Ya Ya nie Interesse an so was. Die Kindheit war etwas, was man durchstand, bis man alt genug zum Arbeiten war, und Geld war das Einzige, was zählte. Sie hätte eher einen Stapel Dollarnoten gebügelt, als eine der Zeitschriften oder Zeitungen aufgeschlagen, die bei ihr auslagen. Sie wusste nicht, wer Präsident war, und noch weniger kannte sie die Hauptpersonen in den Comics, die sie verkaufte wie geschnitten Brot.
    «Ich nix kenne den Tsarlie Brown», sagte sie gern und putzte die Tasten ihrer Registrierkasse mit Spucke. «Vielleicht er ein Tag hiergekommen, aber ich es nix kenne.»
    Es war schwer, sich vorzustellen, wie sie ein eigenes Kind großzog, und es lief einem kalt den Rücken herunter, wenn man sich vorstellte, dass sie genau das getan hatte. Als Baby war meinem Vater eine schlimme Ecke des Zeitungsladens zugewiesen worden, in der er auf einem Teppich aus Zeitungen krabbelte und auf Fünfcentstücken zahnte. Er hatte nie ein Bett gehabt, geschweige denn ein eigenes Zimmer, und war froh gewesen, wenn die Gäste gegangen waren und er das Sofa für sich hatte. Unser Hund hatte es besser.
    «Louie», sagte sie und tätschelte die Haare auf den Knöcheln meines Vaters, «Louie und das Mädchen.»
    «Das Mädchen» nannte sie meine Mutter. Meine Eltern waren seit zwölf Jahren verheiratet und die Ya Ya konnte sich immer noch nicht dazu durchringen, ihre Schwiegertochter namentlich anzusprechen. Mein Vater hatte den Fehler begangen, eine Außenseiterin zu heiraten, und meine Mutter musste es ausbaden. Sie hatte ihn irgendwie überlistet, sich in ihm verkrallt und ihn von seinen Leuten weggezerrt. Es wäre für ihn in Ordnung gewesen, bis ans Ende seines Lebens zu Hause zu bleiben, kobolói zu massieren und bitteren Kaffee zu trinken, aber eine Frau mit zwei nicht ineinander übergehenden Augenbrauen zu heiraten war

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