Nacktes Land
hielten das Stammesleben aufrecht und versuchten es, so gut es ging, gegen die ständig wachsenden Verfallserscheinungen zu verteidigen.
Genau darin bestand auch jetzt sein Problem. Er hatte eine magische Hinrichtung angeordnet, nach den Gesetzen seines Stammes eine legale Angelegenheit. Aber dieser legale Akt wurde sinnlos, wenn Mundaru den weißen Mann vorher tötete. In den Augen von Adamidji, dem weißen Polizisten, wären das nicht ein, sondern zwei Verbrechen, und um so schlimmer fiele die Bestrafung aus. Nach dem Gesetz des weißen Mannes waren auch Stammesmorde verboten; aber er konnte den Eingeborenen nicht begreiflich machen, warum er solche Vergehen zu verhindern versuchte und sie bestrafte. Manches würde der weiße Mann nie verstehen: den Frauentausch zur Beilegung eines Streites oder zum Beweis der Gastfreundschaft, die Blutrache und die Notwendigkeit, daß gewisse Dinge nur unter Androhung der Todesstrafe geheimzuhalten waren. Wenn ein Mann die Frau eines anderen raubte oder sich eine Frau mit dem falschen Totem nahm, dann gab der weiße Mann ihm Zuflucht und beschützte ihn vor den Speeren der Rächer. Er hinderte den Lauf der uralten Gerechtigkeit. Wenn er früher die Stämme aus ihren Heimatregionen in ein neues – vielleicht sogar besseres – Territorium getrieben hatte, wußte er nicht, daß er damit die soziale Einheit zur Auflösung verurteilte. Keine Brücke konnte diese beiden Welten verbinden; ihre Moral und ihre Philosophie waren unvereinbar.
Willinja mußte daher diese Krise nach seinem besten Wissen und Gewissen und gemäß seiner Tradition allein bewältigen; er war der Atlas der Steinzeit, der das Gewicht seiner Weltkugel auf den alternden Schultern trug.
Aus den schattigen Höhlen des Känguruhfelsens traten die Männer des Büffels hervor. Sie hinkten infolge der schmerzhaften Prozedur, die sie gerade hinter sich gebracht hatten. Ihre Füße steckten in den Kadaitjastiefeln aus Straußenfedern und Känguruhfell, die mit dem eigenen Blut beschmiert waren. Beim Gehen hinterließen sie keine Fußabdrücke wie gewöhnliche Menschen – denn bis zur Vollendung ihrer Tat waren sie das nicht mehr. Auch die Speere, die in ihren Händen ruhten, durften nur für diese Gelegenheit benutzt werden.
Sie kamen zu Willinja, stellten sich mit gesenkten Köpfen und niedergeschlagenen Augen vor ihn hin und lauschten seinen Befehlen. Diese kamen scharf und kurz, jedoch klar und sehr genau. Die Zeit war wichtig. Wenn irgend möglich, mußte Mundaru getötet werden, bevor er den weißen Mann umbrachte.
Auch die Tötungszeremonie war wichtig. Mundaru mußte von hinten mitten in den Rücken getroffen werden. Der Speer mußte herausgezogen und an seiner Stelle die heilige Schlange in Form eines scharfkantigen flachen Quarzes hineingestoßen werden, damit sie das Fett der Leber fressen konnte. Die Wunde mußte mit einem heißen Stein ausgebrannt und versiegelt werden, und während Mundaru innerlich verblutete und die heilige Schlange seine Eingeweide fraß, mußte er vorwärtsgetrieben werden, bis er tot liegenblieb. Keine Frau und kein Kind durfte die Zeremonie oder den Toten zu Gesicht bekommen. Der Name des Mannes, welcher den Speer warf, durfte niemals genannt werden; denn dies war eine Gemeinschaftstat, die vor jeder Rache oder Strafe sicher war.
Hatten sie alles verstanden? Ja. Hatten sie verstanden, daß sie selber sterben mußten, wenn sie Mundaru verfehlten? Ja.
Damit entließ er sie. Er sah ihnen lange nach, wie sie flink zum Fluß hinunterhinkten. Danach nahm er sein magisches Gerät vom Boden auf, wickelte es behutsam in Niaulirinde und schritt zum Lager zurück.
Dort trafen die Frauen nach und nach ein, beladen mit Jamswurzeln und Lilienknollen und mit hölzernen Schüsseln voll wildem Honig; aber Menyan war nicht bei ihnen, und Willinja wartete, zuerst verwundert und dann besorgt, auf die Ankunft seiner jüngsten Frau.
5
Sie erreichten die Sandsteinerhebungen am späten Nachmittag und lenkten ihre müden Pferde durch die Schlucht ins Tal. Die Geier umkreisten noch immer den Kadaver des Bullen und flatterten kreischend in Schwärmen auf, als die Reiter näherkamen. Aasgeruch erfüllte die Luft, und Mary hielt sich angeekelt die Nase zu. Sie blieb zurück, während Adams und Billy-Jo weiterritten, um die Beute in Augenschein zu nehmen.
Sie beobachtete, wie sie abstiegen, das tote Tier untersuchten und dann anfingen, den Boden nach Spuren abzusuchen. Wie Gestalten in einer
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