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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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gefunden, aber so, wie die hier herumgestiefelt sind, glaube ich eigentlich nicht daran.«
    Ein paar Minuten ritten sie schweigend, während Mary über seine letzten Worte nachdachte. Leise sagte sie dann: »Neil, verzeihen Sie, daß ich so lästig war. Ich bin zur Zeit so ängstlich und reizbar.«
    Er grinste sie auf seine freche überlegene Art an. »Das ist Ihr Privileg als Frau, Mary. Sie halten sich ganz gut. Sie müssen nur versuchen, sich ein bißchen zu entspannen. Billy-Jo ist der beste Spurenleser von Broome bis Normanton. Wir werden bald mehr wissen. Es ist ja noch eineinhalb Stunden hell.«
    »Neil?«
    »Ja, Mary?«
    »Wie steht die Wette jetzt?«
    Seine Stirn umwölkte sich bei dieser Frage, doch er antwortete frei heraus: »Ein bißchen schlechter, Mary. Es ist ja alles schon vierundzwanzig Stunden her. Wir wissen nicht, wie schwer Lance verletzt oder wie schlimm er gestürzt ist. Aber eins steht wenigstens fest. Er kann nicht sehr weit weg sein.«
    Sie schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben, und er war froh, daß er nicht mehr zu sagen brauchte. Es hatte keinen Sinn, ihr von den anderen Dingen zu erzählen, die er und Billy-Jo gefunden hatten: Ockerstaub, Holzkohle und Fellreste, mit denen einer der Myalls geschmückt worden war zur Vorbereitung für den nächsten Mord.
    Als Lance Dillon aus dem Wasser in das Schilf zurückkroch, war er am Ende seiner Kräfte. Er zitterte vor Kälte; seine Haut war runzlig und aufgeweicht; in Schulter und Achsel tobte der Schmerz, und ein unkontrollierbares krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder. Er lag mit dem Gesicht nach unten, und nach Luft japsend kämpfte er verzweifelt gegen die fiebrigen Nebel in seinem Hirn, welche den Übergang zu hilflosem Delirium ankündigten.
    Er wußte es jetzt mit absoluter Sicherheit; ohne Hilfe konnte er die Farm niemals lebend erreichen. Der Infektionsherd in seiner Schulter breitete sich mehr und mehr aus, und seine Kräfte schwanden so schnell, daß er mit seiner spärlichen pflanzlichen Nahrung nichts dagegen zu tun vermochte. Selbst die geringste Anstrengung bedeutete eine lebensgefährliche Kraftvergeudung, die sich bald als tödlich erweisen mußte.
    Er schloß die Augen und versuchte sein verwirrtes Gehirn zum Überdenken seiner Situation zu zwingen. Das Flugzeug bedeutete nur eins: Mary wußte, daß er in Schwierigkeiten geraten war, und hatte Hilfe geholt. Auch jetzt waren sie wohl auf der Suche nach ihm. Er begann zusammenzuzählen, wie viele Stunden er schon herumgewandert war und wie viele Stunden seine Leute wohl brauchten, um hierher zu reiten. Doch selbst diese simple Rechnung war zuviel für ihn, und er versank in einen schläfrigen Tagtraum von Mary, von gesichtslosen Reitern, von einem Flugzeug, das sich in lauter Vögel verwandelte, die dann über seinem eigenen toten Körper kreisten.
    Der Traum verblaßte, und während eines kurzen lichten Momentes sagte sich Dillon, daß er unbedingt aus dem hohen Gras zum Fluß zurück mußte, wo er eine Chance hatte, von dem Suchtrupp gefunden zu werden. Hier in den Sümpfen war er gleichsam in einem grünen Sarg begraben, und wenn sogar die Myalls ihn verfehlt hatten, war es ausgeschlossen, daß seine Freunde ihn finden würden. Die schwankenden Halme würden ihn verdecken, bis er zwischen ihren Wurzeln verweste.
    Von diesem Gedanken ging ein trügerischer Trost aus. Er brauchte nicht mehr zu fliehen, sich nicht mehr zu fürchten. Er brauchte sich nur in das Gras zurücksinken zu lassen, und es würde ihn wie das Meer umschließen. Wie zur Bestätigung dieses Gedankens fiel ihm ein Vers aus seiner Schulzeit ein …
    »Wo die grüne Dünung im Hafen verstummt,
Weitab von der wogenden See.«
    Der Rhythmus lullte ihn besänftigend ein. Das Zirpen der Grillen verwandelte sich in rauschendes Wogen. Er fühlte sich wie ein vollgesogenes Blatt in die Tiefe sinken, bis ein scharfer zuckender Schmerz ihn ins Bewußtsein zurückholte.
    Dies war die Ankündigung des Todes – ein täuschendes Wohlgefühl, das einem jeglichen Willen raubte und doch weit bedrohlicher als die Speere der Myalls war. Er mußte seine Kräfte zusammennehmen, um dagegen anzukämpfen. Er blickte auf und versuchte aus den wirren Schatten der Gräser die Himmelsrichtung zu bestimmen. Es war Nachmittag. Die Sonne stand zu seiner Rechten, also mußte der Fluß geradeaus vor ihm liegen. Wenn er sich jetzt nicht aufraffte, würde er es nie mehr schaffen.
    Langsam, Meter für Meter, begann er unter

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