Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
Vom Netzwerk:
konnte, vor dem Dilemma aller Gläubigen: vor dem Zwiespalt zwischen Glauben und Tatsachen und vor dem Konflikt zwischen Stammesgehorsam und persönlichen Wünschen. Durch sein eigenmächtiges Handeln hatte er sich aus dem Stamm ausgeschlossen und war nun vogelfrei. Die gemeinschaftlichen Wege zu Stärke und Lebenskraft waren ihm für immer versperrt. Aus diesem Grund blieb ihm weiter keine Wahl. Er mußte den Kreis der Vernichtung schließen – sei das Opfer nun Geist oder Mensch. Er mußte sich durch eigene Kraft erhalten, mußte ohne Hilfe unter dem Schutz seines eigenen Totems leben.
    Abrupt und aus sonderbar verdrehter Logik kehrten sich seine Gedanken Menyan, Willinjas Frau, zu. Innerhalb der Stammesgemeinschaft blieb sie ihm versagt, aber als Ausgestoßener konnte er sie sich nehmen, falls es ihm glückte, ganz gleich, ob das ihre Zustimmung fand oder nicht. Hinterher könnten sie jedenfalls nicht mehr im Bereich ihres Stammes leben. Doch sie könnten an die Grenze der weißen Ansiedlungen fliehen, wo schon andere abtrünnige Männer und Frauen ein neues Leben begonnen hatten, unvollkommen zwar, aber frei von den Bindungen an überlieferte Zwänge. Dieser Gedanke gefiel ihm. Er zeigte ihm ein neues Ziel, erfüllte ihn, wenn auch nur vorübergehend, mit neuem Mut gegenüber den Mächten, die ihn von Stunde zu Stunde mehr in ihre Gewalt bekamen.
    Aber vorher mußte er den weißen Mann finden …
    Das Wasser war noch immer ungetrübt, und die Schilfrohre flüsterten noch immer im leichten Wind. Wo der weiße Mann auch sein mochte, bestimmt floh er in Richtung der Farm. Mundaru hob seine Speere und seine mörderische Keule auf und hastete durch das Schilf davon.
    Als Dillon eine ganze Weile später ohne jede Hoffnung zwischen den Lilienpflanzen auftauchte, war der Myall verschwunden, und nichts deutete darauf hin, welchen Weg er gegangen war.
    Mary Dillon und Sergeant Neil Adams ritten Seite an Seite über die rote Ebene; ein paar Pferdelängen hinter ihnen folgte Billy-Jo mit dem Packpferd. Die Hitze, das grelle Licht, der gleichförmige Trab der Pferde versetzten sie in eine schläfrige Harmonie, in eine schweigende Vertrautheit, als wären sie und ihr braungebrannter Begleiter die einzigen Menschen in einer leeren Welt. Adams ritt lange Strecken schweigend, doch gerade wenn es Mary schien, daß er sie vergessen hätte oder absichtlich ignorierte, wandte er sich ihr zu und lenkte ihr Interesse auf irgendeine neue Sache – einen seltenen Vogel, einen grotesk verformten Flaschenbaum, einen von Eingeborenen aufgerichteten Pfahl aus Fruchtbarkeitssteinen. Daran erkannte sie seine Besorgnis, sein unausgesprochenes Verständnis, und sie war ihm dankbar dafür.
    Aber es gab noch ein anderes Thema, über das sie unbedingt reden mußte, und mit ruhiger Stimme begann sie: »Neil, ich möchte Ihnen etwas sagen.«
    »Sagen Sie's!«
    »Sie brauchen wirklich nichts vor mir zu verheimlichen.«
    Unter seiner Hutkrempe hervor traf sie ein kurzer, scharfer Blick, aber sein Gesicht lag im Schatten, so daß sie nicht erkennen konnte, ob er lächelte oder die Stirn runzelte. Nur seiner Stimme konnte sie einen Anflug von Wohlwollen entnehmen.
    »Ich verheimliche nichts, Mary. Ich weiß ja auch gar nichts.«
    »Aber Sie glauben, daß es was Schlimmes ist, oder?«
    »Jeder Unfall in diesem Land ist schlimm, Mary.«
    »Aber Sie glauben nicht an einen Unfall. Sie meinen doch, daß Sie Scherereien mit den Eingeborenen kriegen?«
    »Ich habe Ihnen schon gesagt, ich vermute es. Ich weiß es aber nicht.«
    »Aber Lance könnte tot sein … ermordet.«
    »Er könnte. Wahrscheinlich ist er's nicht.«
    »Vielleicht wäre es besser, er wäre tot.«
    Die Nüchternheit, mit der sie das sagte, überraschte ihn, doch er war schließlich gewöhnt, Gelassenheit zu zeigen. Seine Augen blickten teilnahmslos geradeaus, und die Pferde trotteten im gleichmäßigen Paßgang über die Ebene weiter. Einen Augenblick später meinte er ruhig: »Wollen Sie mir das nicht näher erklären?«
    »Da gibt's nicht viel zu erklären, Neil. Wir sind bei der Genossenschaft bis zum Hals verschuldet, und letzten Monat haben die uns gesagt, daß sie uns nichts mehr vorstrecken würden. Wenn der Bulle tot ist, wie Sie annehmen, dann sind wir am Ende – wir sind ruiniert. Ich glaube, für Lance wäre das unerträglich; dessen bin ich ziemlich sicher.«
    »Unterschätzen Sie sich da nicht – sich und ihn auch?«
    »Nein, bestimmt nicht.«
    Eine Weile ritten sie

Weitere Kostenlose Bücher