Nacktes Land
schweigend weiter, bis Adams anhielt und beiläufig riet: »Lassen Sie uns ein bißchen ausruhen und uns erfrischen.«
Er stieg ab und half ihr aus dem Sattel. Sie war vom Reiten steif und verkrampft und mußte sich einen Moment lang auf ihn stützen. Er grinste und sagte obenhin: »Das ist noch gar nichts. Warten Sie nur, wie es Ihnen morgen gehen wird.«
»Ich bin zäher, als Sie denken, Neil.«
»Das glaube ich«, meinte er nüchtern und ging die Pferde tränken, während Mary sich gierig auf die Wasserflasche stürzte. Später, als sie im Schatten saßen und vor dem Weiterreiten noch eine Zigarette rauchten, nahm Adams den Gesprächsfaden wieder auf.
»Glauben Sie, Lance würde das wirklich so fertigmachen?«
»Ja, höchstwahrscheinlich. Wissen Sie, ich kenne ihn recht gut. Er hat viel Mut und Ausdauer. Aber er denkt zu einfach – zu einseitig, verstehen Sie? Sein ganzes Leben hat er auf dieses eine Ziel gerichtet – sogar ich mußte zurückstehen. Er hat alles auf dieses Zuchtunternehmen gesetzt, und mehr als einmal hat er mir gesagt, dies sei sein letzter Versuch. Ich habe ihm geglaubt und glaube ihm noch. Es gibt solche Menschen. Und das wissen Sie auch, Neil! Solange sie das Ziel deutlich vor sich sehen, können sie alles auf sich nehmen. Aber sobald das Ziel verschwimmt oder in unerreichbare Ferne rückt, brechen sie zusammen. Zu diesen Menschen gehört auch Lance.«
»Und Sie?«
Seine Augen waren von seinem Hut beschattet, doch sie hörte wohl den ironischen Unterton in seiner Frage. Ihre Antwort kam unverblümt: »Ich gehöre zu denen, die deshalb überleben, weil sie weggehen und alle Brücken hinter sich abbrechen.«
»Sie würden Lance verlassen?«
»Sagen wir mal, eher das Land. Aber Lance auch, wenn er darauf bestehen würde, zu bleiben. Ich hatte diese Überlegungen schon angestellt, noch ehe das hier passiert war.«
Falls die Antwort ihn schockierte, merkte man ihm das nicht an; er sah ihr in die Augen und fragte: »Lieben Sie ihn nicht, Mary?«
»Doch, schon; jedenfalls genug, um aufrichtig zu ihm zu sein. Aber nicht so sehr, um hierzubleiben und zusehen zu müssen, wie dies verdammte Land alles auffrißt, was zwischen uns gut war. Hab' ich Sie jetzt erschreckt, Neil?«
Er zuckte mit den Achseln und grinste sie breit von der Seite an.
»Einen Polizisten kann gar nichts erschrecken. Außerdem freut es einen, wenn man mal auf eine ehrliche Meinung trifft. Wenn Sie mit Ihrer Zigarette fertig sind, müssen wir weiter. Ich möchte noch vor Sonnenuntergang bei den Hügeln sein.«
Er drehte sich um und wollte zu den Pferden gehen, doch ihre Stimme hielt ihn zurück.
»Neil?«
»Ja?«
Sie kam auf ihn zu, ihre Augen blickten ihn kühl und herausfordernd an.
»Eine Frage, Neil. Worum würden Sie wetten, daß Lance noch lebt?«
Er schluckte kurz und antwortete entschieden: »Im Moment sogar um Geld. Aber Wetten sollte man lieber auf der Rennbahn abschließen … Kommen Sie, reiten wir weiter.«
Doch je länger sie ritten, um so mehr beschäftigte ihn die Frage: Wollte sie, daß die Wette gut ausging oder schlecht? Und wie stand er selbst dazu?
Willinja, der Zauberer, wartete darauf, daß die Männer des Büffels endlich ihre rituellen Vorbereitungen abschlössen und ihm meldeten, daß sie für ihn bereit seien. Auch er mußte sich den Zwängen der Zeit, der Umstände und der Verantwortlichkeit unterordnen.
Wie alle, die in die Geheimnisse eines animistischen Kultes eingeweiht waren, war auch Willinja ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz und Vorstellungskraft. In jeder beliebigen Gesellschaftsordnung hätte er es zu Macht und Ansehen gebracht. In seinem Kopf waren die gesamte Geschichte und alle Traditionen seines Stammes gespeichert, und er kannte alle komplizierten Gesänge und Rituale.
Die komplexen Zusammenhänge von Stamm und Totem, von Heirat und Fortpflanzung, der vollständige Kodex der Beziehungen zwischen Mensch und Tier waren ihm so vertraut wie einem Juristen des zwanzigsten Jahrhunderts die Gesetzestexte. Er war Pharmazeut, Physiker und Psychologe, und innerhalb der Grenzen seiner Kenntnisse und Erfahrungen konnte er es mit jedem Fachmann aufnehmen. Er war Priester und Augur, Diplomat und Richter zugleich. Hinter seiner breiten fliehenden Stirn steckte im Grunde mehr Wissen, als vier Männer einer beliebigen Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts vorweisen konnten. Besser als die meisten anderen wußte er, was soziale Verantwortung bedeutet. Er und seinesgleichen
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