Nacktes Land
Bursche, der das Mädchen geschändet hat, ist für seinen Stamm genauso ein Verbrecher wie für uns. In vielen Dingen ähneln sich unsere Auffassungen, in anderen sind sie verschieden, weil unsere Lebensweise so unterschiedlich ist.«
»Lance hat auch schon versucht, mir das zu erklären. Ich habe mich bisher nie dafür interessiert.«
»Sie brauchten sich auch nicht dafür zu interessieren. Ihr Mann hat ja für Sie mitgedacht.«
Es lag keine Bosheit in seinem Tonfall. Er stellte einfach eine Tatsache fest.
»Meinen Sie, das war ein Fehler?«
»Ich bin Polizist und kein Richter, Mary.«
Sie gingen weiter und kamen schließlich zu einer Felsenplatte, die sich ins Wasser hineinschob. Sie setzten sich; Adams zündete zwei Zigaretten an und reichte ihr eine; sie rauchten und beobachteten die wirbelnden Strudel am Fuß des Felsens. Nach langem Schweigen fragte sie ihn zögernd: »Neil, könnten Sie mir eins erklären?«
»Das kommt drauf an«, antwortete er ihr mit einem ironischen Unterton. »Im Moment kann ich mir selbst eine Menge Dinge nicht erklären. Um was geht es denn?«
»Um mich … und um Lance. Wie passiert so etwas? Wie können zwei Menschen sich erst lieben, und nach ein paar Jahren Zusammenlebens endet es dann … so, wie es jetzt mit uns steht?«
»Und was heißt: ›So, wie es mit uns jetzt steht‹?«
Ihre Hände fingerten hilflos herum, als wollten sie die Antwort aus der Luft pflücken.
»Von Lance weiß ich nur, daß er mich liebt, daß er jedoch gekränkt und enttäuscht ist und daß seine Liebe deshalb langsam in Abneigung umschlägt. Und ich …« Sie schnippte ihren Zigarettenstummel ins Wasser und sah ihm nach, wie er in die Dunkelheit trieb. »Und ich … Ich bin über mich selbst erschrocken. Irgendwo da drüben liegt Lance, verwundet oder tot. Ich äußere sämtliche Empfindungen einer guten und treuen Ehefrau, aber tief in meinem Inneren ist er mir gleichgültig.«
Ihre Stimme bekam einen spitzen hysterischen Klang. »Verstehen Sie? Er ist mir völlig gleichgültig!«
»Sie haben einen schweren Tag hinter sich«, sagte Neil Adams nüchtern. »In Ihrer Verfassung ist einem einfach alles egal. In dieser Beziehung geht es mir übrigens genauso.«
»Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen, Neil?«
»Ich will überhaupt nichts mehr sagen, Mary.« Er lächelte sie spöttisch von der Seite an. »Auch nicht, daß wir uns unsere Indiskretionen bis zum Frühstück aufheben sollten. Sie sind müde, und ich bin es auch. Gehen wir zurück und essen wir etwas.«
Am Lagerfeuer hockte Billy-Jo friedlich rauchend neben der Glut. Das eingeborene Mädchen war in ihre Bewußtlosigkeit zurückgesunken, in ihren Mundwinkeln hatte sich schleimiger Schaum gebildet. Adams betrachtete sie kurz und ging dann zu Billy-Jo, um sich mit ihm zu besprechen. Mary beschäftigte sich mit den Vorbereitungen für das Essen und lauschte dabei der kurzen, leisen Unterhaltung.
»Hast du etwas aus ihr herausgekriegt, Billy-Jo?«
Der Fährtenleser nickte, seine alten Augen blickten triumphierend.
»Ihr Name Menyan, Boss. Frau von Willinja, großer Zauberer. Mann sie geschlagen, wollte sie schon lange haben.«
»Und warum hat sie nicht gewollt?«
»Willinja zeigen ihm Knochen, singen ihm Tod. Schicken Kadaitjamänner, ihn töten. Frau will nicht toten Mann.«
»Warum haben sie mit dem Knochen auf ihn gezeigt?«
»Er töten Bullen. Versuchen zu töten weißen Mann. Schwarze Leute wollen nicht Ärger mit dir, Boss.«
»Wie heißt der Bursche?«
»Mundaru, Mann von Büffel.«
»So ist das also!« Adams' Gesicht hellte sich auf, als ihm die Zusammenhänge dämmerten. Doch dann, als ihm die Situation klar bewußt wurde, verfinsterte sich sein Blick wieder. »Und alle sind jetzt da drüben! – Kadaitjamänner, Mundaru und Dillon.«
Der Farbige schüttelte den Kopf und warf einen bedeutungsvollen Blick zu Mary hinüber. Seine Stimme dämpfte sich zu einem Flüstern.
»Dillon tot, Boss.«
»Woher weißt du das?«
»Ist einfach, Boss. Schwarzer Mann machen so: töten erst, dann essen Leberfett, machen ihn stark. Nehmen Frau hinterher.«
Stirnrunzelnd überdachte Adams diese simple und sachliche Logik. Sie war leicht zu begreifen und paßte genau in das im Kreis verlaufende Denken der Primitiven. Und doch war da ein Haken, und dieser Haken war Dillon selbst – der Mann des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich nicht an die uralten Gesetze gehalten hatte und dadurch in diese nicht vorauszusehende Lage geraten
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