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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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mußte?
    Weiter angenommen, er überlebte auch das. Dann fragte es sich erst recht, ob er den Schock des finanziellen Ruins und den Verlust seiner Frau überstehen würde? Oder vielleicht hatte er sich schon damit auseinandergesetzt und beides als erträglich empfunden? Aber wenn du, Neil Adams, heute nacht mit seiner Frau zusammen unter einer Decke geschlafen hättest, wie könntest du ihm dann gegenübertreten, wenn er lebte – oder noch schlimmer, wie würdest du zu ihm stehen, wenn er tot wäre?
    Aber laß ihn jetzt mal beiseite! Denk an seine Frau, die verstimmt, unzufrieden, verängstigt – auch liebeshungrig vielleicht –, doch im Innersten so aufrichtig ist, daß sie sich stets loyal verhält, ob mit oder ohne Liebe. Sie regt dich auf und ist ein ständiger Stachel für dich, wie ein Stein im Schuh. Sie gibt ihre Unzufriedenheit offen zu, was gewöhnlich ein Symptom für Frühlingsgefühle ist. Aber sie schämt sich auch genauso offen deswegen – und wie willst du das mit deiner zynischen Erfahrung vereinbaren?
    Nie hat dir eine Frau mehr bedeutet als ein fröhliches Vergnügen im Heu und ein Abschied ohne Tränen. Warum sollte es dir Kopfzerbrechen machen, was hinter den nachdenklichen Augen dieser einen vorgeht? Sie hat dir ihre Decke angeboten. Wollte sie damit mehr versprechen? Hast du aus Angst vor dir selbst abgelehnt, oder war es die Angst vor ihr? Falls Dillon tot ist, willst du dann seine Frau übernehmen? Wenn du Dillon mit ausgehackten Augen findest oder im letzten Delirium, kannst du dann so grausam sein und daneben stehen und ihre Reaktionen beobachten? Das waren unpassende Überlegungen, vielleicht. Ein unerfreuliches Zeichen dafür, was Jahre der Einsamkeit aus einem leidenschaftlichen Mann machen können. Schließen wir also auch diese Gedanken aus. Wenden wir uns als Polizist den dramatischen Ereignissen zu, die sich vielleicht gerade jetzt da drüben in der Grasebene abspielen. Da treibt sich ein Mörder herum. Nach dem Gesetz gehört er dir, und du mußt ihn erwischen. Wenn dir das nicht gelingt und die Kadaitjamänner ihn töten, mußt du sie und ihren Stamm bestrafen – obgleich du genau weißt, daß das zwar dem Buchstaben des Gesetzes entspricht, aber trotzdem nicht gerecht ist.
    Und da kompliziert Dillon den Sachverhalt. Vergewaltigung und Mord als Stammesangelegenheit kannst du nach eigenem Ermessen behandeln. Es liegt an dir, wieviel oder wie wenig dein Bericht enthält; damit kennen sich sowieso die wenigsten aus. Aber wenn ein Weißer ermordet wird, ist das ein Fall für die Oberen. Dann muß ein Bericht ans Ministerium geschickt werden, der dann im Parlament diskutiert wird. Es geht schließlich um deine Karriere. Bist du bereit, sie für eine abstrakte Gerechtigkeit aufs Spiel zu setzen? Noch vor vierundzwanzig Stunden war das Leben so einfach. Aber jetzt, mit einer Frau an deiner Seite, kannst du die Regeln nicht mehr in einem Gesetzbuch nachschlagen …
    Plötzlich hörte er aus der Dunkelheit den Schrei eines Peitschenvogels, der sich noch zweimal wiederholte. Er schnellte hoch, alle seine Sinne waren hellwach. Es war Nacht, und die Vögel im Busch schliefen. Der dunkelhäutige Späher setzte sich ebenfalls auf, und Adams stieg über Mary hinweg, um sich neben ihn zu hocken. Billy-Jo rollte seine dunklen Augen. Er zeigte über das Wasser hinüber.
    »Kadaitjamänner, Boss.«
    Adams nickte.
    »Ob sie ihn schon gefunden haben?«
    Der Spurenleser schüttelte heftig den Kopf.
    »Noch nicht. Wenn ihn finden, hören Tjuringa-Brüllen von Bullen.«
    »Aber die wissen doch, daß wir hier sind. Machen sie's trotzdem?«
    »Sicher, Boss. Kadaitjazauber stärker als weißer Mann. Tjuringa machen Geisterlied für Tod.«
    »Wir schreiten ein, sobald wir etwas hören. Wir schlafen abwechselnd, jeder eine Stunde. Schlaf du zuerst. Ich wecke dich dann.«
    »Gute Nacht, Boss.«
    Er schob sich den Hut über die Augen, streckte sich unter seine Decke und war innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen.
    Wieder rief der Peitschenvogel, und diesmal antworteten darauf der Schrei eines Kakadus und das Schnattern einer wilden Sumpfgans. Der Ruf des Kakadus schien, näher als die anderen, vom Ufer flußabwärts zu kommen. Adams griff nach seinem Gewehr, lud es und ging, sich dicht im Schatten haltend, hinunter zu der Furt, die er und Billy-Jo am Nachmittag durchwatet hatten.
    Im Wasser setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen, damit kein Spritzer den wispernden Rhythmus der Strömung

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