Nacktes Land
hatte er durchgehalten? Wie war er gestorben? Hatte er gewußt, daß seine Frau ihn verlassen wollte? War er im Haß gegen sie gestorben oder voller Trauer, daß er sie nicht zu halten vermocht hatte? Was hätte er an Neil Adams' Stelle getan? Lauter sinnlose Fragen – bis auf eine: Wo war Dillon jetzt? Wenn jemand sie beantworten konnte, dann Mundaru, der Mann des Büffels; und der rückte mit jeder Minute, die bis zum Anbruch der Morgendämmerung verging, dem Tod näher.
Neil Adams lauschte in die Nacht; er wartete auf die Rufe der Kadaitjamänner. Nichts geschah. Wenn Billy-Jo recht behielt, würde kein Laut ertönen, bis der Todesgesang mit dem Bullen-Brüllen begann. Er warf seine Zigarette in den Fluß und sah zu, wie sie von der Strömung in die Dunkelheit gezogen wurde. So waren all seine anderen Liebesabenteuer gewesen – ein rasches Aufglühen, ein rasches Verlöschen. Doch wer konnte voraussagen, wie lange diese neue Liebe dauern und welche Flamme aus der warmen Glut auflodern mochte?
Bei dem Geräusch von Schritten im Sand drehte er sich abrupt um. Mary stand blaß und lächelnd im Mondschein neben ihm. Er erhob sich, nahm sie in seine Arme, und so standen sie lange still und hielten sich umschlungen. Dann saßen sie gemeinsam auf dem flachen Felsen, Hand in Hand, doch die Gesichter voneinander abgewandt, umhüllt von der zärtlichen Zufriedenheit der Neuverliebten.
»Neil!«
Ihre Stimme klang sanft und bekümmert.
»Ja, Mary?«
»Ich möchte dir etwas sagen!«
»Nur zu.«
»Kennst du den alten Spruch: ›Das Schwierigste an der Liebe ist, daß man nie weiß, was man hinterher sagen soll?‹«
Er glaubte, in ihrer Stimme versteckten Spott zu hören, und sah sie an, doch in ihren Augen lag keinerlei Ironie, nur ein zärtliches Lächeln. Er schmunzelte und nickte. »Ja, den kenne ich. Und jetzt stehst du vor diesem Problem?«
Sie verneinte nachdrücklich. »Nein. Und du brauchst dir deswegen auch keine Sorgen zu machen. Da gibt's nichts zu sagen und nichts zu bereuen. Ich bin froh, daß es so gekommen ist, und ich werde immer daran denken. Aber wenn du es nicht willst, werde ich nie mehr davon sprechen. Das wäre alles.«
»Wirklich?«
»Was mich betrifft – ja.«
»Soll das heißen, daß du Schluß machst?«
Ihr Gesicht wurde ernst. Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Es soll dir meine Liebe beweisen, Neil. Ich weiß nicht, wie ich es dir sonst erklären soll, daß du jetzt genauso frei bist – so frei wie vorher bei den anderen.«
»Vielleicht will ich das gar nicht, Mary.«
»Dann bist du so lange frei, bis du deiner sicher bist.«
»Und dann?«
»Bis dahin bin ich meiner vielleicht auch sicher.«
Er packte sie heftig bei den Armen und schwenkte sie zu sich herum. Seine Augen blickten streng, und sein Mund war hart geworden.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Mary! Wir sind hier nicht auf einem Buschrennen, wo du beiden Seiten die Daumen drücken und dir auf deinem Tippschein ein Feld für den Außenseiter freihalten kannst!«
»Glaubst du, das will ich?«
»Ja.«
Sie hob stolz den Kopf und sah ihn herausfordernd an.
»Also gut, Neil! Dann sage ich jetzt alles. Was heute nacht passiert ist, habe ich gewollt. Ich würde nichts davon zurücknehmen, selbst wenn ich könnte. Falls Lance tot ist, bin ich frei. Wenn er lebt und gesund ist … Ich wollte ihn sowieso verlassen. Und ich liebe dich, Neil. Bloß, wie stellst du dir das Weitere vor?«
Sein Griff um ihre Arme lockerte sich. Der barsche Kommandoton verschwand aus seiner Stimme.
»Ich – ich denke, wir sollten einfach abwarten.«
»Genau das habe ich dir die ganze Zeit zu sagen versucht, Neil«, meinte sie trocken. »Ich liebe dich genug, um dir deine Freiheit zu lassen. Aber sag nie mehr, ich wollte jeder Seite die Daumen drücken. Das hab' ich einmal gemacht und nie wieder.«
»Entschuldige, Mary.«
»Ich mache dir keine Vorwürfe. Aber du darfst mir auch keine machen. Wenn ich mir selbst etwas vorwerfe, geht das nur mich etwas an, und ich würde dich nie damit belasten. Und jetzt küß mich, Darling – und laß uns nicht mehr reden.«
Doch selbst in dem Kuß spürte er die Bitternis der Reue und der Erkenntnis, daß Schuld eine einsame Bürde ist – und daß ein Mensch schon eine besondere Beherztheit braucht, um diese Bürde geduldig zu tragen. Mary Dillon hatte diesen Mut, und Adams wünschte, er selbst wäre sich seiner wenigstens halb so sicher.
Als das Morgengrauen sich über den östlichen Himmel
Weitere Kostenlose Bücher