Nacktes Land
ein flaches Becken mit eiskaltem Wasser tauchte. Die Berührung wirkte wie ein Messerschnitt auf seiner zerfetzten Haut, doch er schlürfte gierig und fühlte beim Schlucken ein Brennen in seiner Gurgel. Als er genug getrunken hatte, blieb er einfach so liegen und wartete, bis die Stärkung seinen ganzen Körper erquickt hatte.
Seine Finger tasteten den Beckenrand ab; der war breiter, als er fühlen konnte – vielleicht war er sogar so breit, daß ein Mensch in Reichweite des Wassers darauf liegen konnte. Außerdem lag dort noch mehr: kleine Kalksteinscherben, die von oben heruntergefallen waren, und Stalaktiten, lang wie Dolche und fast ebenso scharf. Seine Finger wischten ein paar davon ins Wasser, aber einen hielten sie fest, lang wie ein Unterarm, dünn, glatt und spitz wie eine Ahle.
Es traf Dillon wie eine kalte Dusche, daß es ihm nicht vergönnt sein sollte, in Frieden zu sterben; daß auch sein letzter Augenblick von Gewalt und Schrecken erfüllt sein würde. Vorher war ihm alles gleichgültig gewesen. Doch jetzt, an dieser stillen Stätte, stieg Ärger in ihm auf. Er hatte genug gelitten und war bis an den Rand der letzten düsteren Gruft gelangt. Warum sollte er gefügig abwarten, bis sie ihn hineinstießen? Seine Finger krampften sich fest um das glatte Ende des Stalaktiten und entspannten sich dann langsam wieder.
Zuerst mußte er sich ganz zum Rand des Wasserbeckens hochziehen. Hier konnte er liegen und mit dem Rest seiner Kräfte haushalten. Er konnte sich auch abkühlen, wenn das Fieber wieder stieg. Von hier aus konnte er, den steinernen Dolch in der Hand, den letzten verzweifelten Sprung gegen den ersten seiner Angreifer tun. Mit Wut, Ernüchterung und Reue war er für den hoffnungslosen Kampf gerüstet.
In der letzten dunklen Stunde vor der Morgendämmerung stand Neil Adams auf, legte die Decke fest um Mary und ging zum Flußufer, um Billy-Jo bei der Wache abzulösen.
Der Späher wußte nichts zu berichten. Die Kadaitjamänner hatten lange Zeit geschwiegen. Das würde wohl noch bis zum Tagesanbruch so bleiben. Er schlenderte den Strand hinauf, warf sich auf seine Decke und rollte sich, ganz wie ein Geschöpf des Busches, zum Schlaf zusammen.
Neil Adams setzte sich auf eine Felsplatte, zündete sich eine Zigarette an und hing mit seinen Gedanken den Rauchringen nach, während sein Körper sich entspannt der traurigsüßen Zufriedenheit überließ, die so gern dem Liebesakt folgt.
Er hatte viele Frauen gehabt. Aber bei Mary erlebte er zum erstenmal, daß Besitz auch Hingabe bedeutete und nicht bloß Eroberung. Der Schutzwall des Egoismus war eingestürzt, die Barrieren der Gesellschaftsmoral waren kampflos überwunden worden. Die Legende von der Unbezwinglichkeit war für immer zerstört. Jetzt war er ein Mann, der die Frau eines anderen genommen, ein Polizist, der einen Vertrauensbruch begangen hatte und jederzeit auf den Verlust seiner Ehre gefaßt sein mußte, sobald jemand anfing, in seinen Geheimnissen herumzustöbern.
Diese bittere Pille vergiftete ihm den Nachgeschmack der Liebe, doch er mußte sie schlucken, ob er wollte oder nicht. Also verzieh das Gesicht und würg sie hinunter! Ehebruch und Pflichtverletzung. Jetzt ist es passiert. Daran ist nichts mehr zu ändern – und vielleicht ist es ja auch gar nicht nötig. Alles spricht für Dillons Tod, und an einem Verhältnis mit einer jungen und willigen Witwe ist schließlich nichts Böses. Falls er aber lebt, weiß er nichts davon; und wem liegt schon daran, es ihm zu erzählen – es sei denn, unsere Lady kriegt einen komischen Anfall von Gewissensbissen …?
Er sah ein, daß es viel schwieriger war, diese zynische Rechtfertigung aufrechtzuerhalten, als sich einfach die Wahrheit einzugestehen. Zum erstenmal in seinem Leben war er der Liebe so nahe gekommen – mit all ihrer Qual, ihrer Macht und ihrer Heimlichkeit. Und Mary Dillon liebte ihn auch; die Liebe war da – legal oder nicht – und mit ihr der Schmerz und die quälenden Fragen: Wird es noch genauso sein, wenn der neue Tag beginnt? Und wenn ja, wie soll es dann weitergehen?
Er spähte über das Wasser zu der Treibholzverschanzung hinüber, hinter welcher sich Lance Dillon vor erst vierundzwanzig Stunden versteckt hatte. Unwillkürlich ergriff ihn wieder Bewunderung für die Ausdauer und Geistesgegenwart dieses Mannes, der es nackt, verwundet und allein mit den Primitiven aufnahm, die im Busch so zu Hause waren wie ein Stadtbewohner auf den Straßen. Wie lange
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