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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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entschlossener und hartnäckiger wurde er, bis sich schließlich der ganze Inhalt seines Lebens, seine Sicherheit und sein Glück in den Genitalien eines Bullen konzentrierten.
    Hier, in dem schummrigen Zwielicht seiner Grabkammer, kam ihm das alles wie eine ungeheure, an Wahnsinn grenzende Torheit vor. Und doch war es wahr. Andere Männer hatten gelacht und geküßt, hatten sich betrunken und Söhne gezeugt, die sie nicht ernähren konnten, und hatten ihren letzten Schilling verjubelt, während er, diszipliniert wie ein Mönch, sein Leben im Dienst eines einzigen Tieres verbracht hatte. Wer war nun besser dran – die anderen oder er? Um wen würde wohl länger, liebevoller und mitleidiger getrauert werden?
    Wie um diese unlösbare Frage zu unterstreichen, klang der kurze, melodische Laut von neuem auf. Dillon lauschte angestrengt auf das zarte Echo, doch gleich war es wieder verklungen, während sich sein Hirn noch abplagte, die Herkunft dieses Geräusches herauszufinden.
     … Sonntagsessen auf der Farm … Die Mahlzeit fast vorüber … Zwei Menschen, die sich nichts Neues mehr zu sagen hatten und sich vor ihrem Kaffee und dem letzten Schluck Wein langweilten. Mary, die abwesend mit einem Kaffeelöffel auf den Rand ihres Weinglases klopfte, so daß die schwere Luft erfüllt war von dem dünnen, anhaltenden Klingen. Seine eigene Stimme, streng und unerwartet laut: »Um Himmels willen, Mary! Muß das sein?«
    »Das macht dich wohl fertig?«
    »Warum tust du's dann?«
    »Rindvieh am Morgen, Rindvieh am Mittag, Rindvieh am Abend, Rindvieh im Bett.«
    Bei jeder Wiederholung traf der Löffel das Glas.
    »Das macht mich fertig, Lance. Ich bin eine Frau und keine Zuchtkuh. Siehst du denn nicht, wie weit es mit uns gekommen ist? Ich will einen Ehemann und keinen Zuchtmeister.«
    »Um Gottes willen, Mary! Hab doch Geduld! Ich hab' dir schon ein dutzendmal gesagt, wir müssen uns eben abrackern; aber nicht mehr lange. Noch ein paar Jahre, und …«
    »Und dann haben wir größere Herden und bessere dazu – und unterdessen wird die Liebe kleiner und kleiner, und unsere Ehe wird immer mieser.«
    »Ich finde eigentlich, es klappt ganz gut mit unserer Ehe.«
    »Du hast doch noch nie darüber nachgedacht. Und ich hab' allmählich die Nase voll!«
    »Verdammt, du weißt überhaupt nicht, was du willst …«
    Und so ging es immer weiter, das ganze öde Gespräch voller Enttäuschungen, törichter Beschuldigungen und verstecktem Groll, den in Worte zu fassen sie beide zu stolz waren …
    Jetzt, da er keinen Stolz mehr hatte, war es zu spät. Er war bereit, die Wahrheit auszusprechen, aber seine geschwollenen Lippen konnten die Worte nicht formen – außerdem war ja auch niemand da, der sie hätte hören können.
    Wieder schwang der gläserne Ton durch das Gewölbe! Und diesmal begriff Dillon, was es war: ein einzelner Wassertropfen, der auf eine Pfütze aufschlug. Hinter seinen müden Lidern entstand ein Bild: winzige Tröpfchen, die langsam durch die Erde sickern; die sich am oberen Ende eines rostroten Stalaktiten sammeln; die langsam die Kalksteinsäule hinabrinnen; die an der Spitze einen Augenblick innehalten; und die schließlich in ein Becken fallen, wo schon Millionen andere Tropfen sich gesammelt haben, unerreichbar für die Sonne und für den Durst von Mensch und Tier.
    Wasser …! Der letzte Wunsch des Sterbenden an eine Welt voller Reichtümer. Er wartete, bis sich der Klang wiederholte, und fixierte in Gedanken die Richtung, aus der er kam. Dann rollte er sich auf den Bauch und kroch auf das Geräusch zu, mit dem inständigen Wunsch, daß sich das Wasser nicht außerhalb seiner Reichweite befinden möge.
    Schließlich berührten seine Hände eine Art Wand. Er fühlte, wie diese sich über ihm zu einer Säule verdickte. Der nächste Tropfen schien unmittelbar über seinem Kopf aufzutreffen. Er mußte versuchen, sich aufzurichten und dort hinaufzugelangen. Er zog seinen Leib und die Füße so dicht wie möglich an die Kalksteinsäule; dann ergriff er den nächsten Vorsprung und begann sich aufzurichten. Mit den Händen zog er, und mit den Füßen schob er, und wenn seine Kräfte erlahmten, hielt ihn die Reibung seiner Haut auf der rauhen Fläche fest.
    Dann war die Säule zu Ende, und seine Finger umklammerten einen Vorsprung. Mit einer letzten krampfhaften Anstrengung kletterte er hinauf und warf sich mit dem Oberkörper über den Rand der ausgehöhlten Säule, so daß er vornüber hing und sein Gesicht in

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