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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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einem leisen mausähnlichen Quieken in der Dunkelheit umher. Diese wunderlichen, scheuen Geschöpfe, wie geschaffen für Friedhofsruhe, waren gewiß eine angenehmere Gesellschaft als die Geier, die mit der ersten Morgenwärme herbeigeflogen wären, um über ihm zu kreisen.
    Er schloß die Augen und tastete mit den Fingern durch den Sand. Der war fein und pulvrig und vollkommen trocken. Schwerfällig reimte sich Dillons Gedächtnis das Geschehen zusammen. Er war in eine jener Höhlen geraten, die vor Jahrhunderten durch unterirdische Wasserläufe unter der Oberfläche des Stone Country entstanden waren. Um diese eine Höhle herum mußte es noch weitere geben, große und kleine, verbunden durch einen Tunnel, der einst das Bett des Flusses gebildet hatte. Wenn jemand sich ein besonders tiefes Grab wünschte, hier war eines, vorausgesetzt er war stark und willens genug, um es aufzusuchen.
    Fürs erste war Dillon zufrieden. Der Sand war weich. Die Wärme tat ihm nach der bitteren Kälte oben auf der Erde wohl, und nach dem Mondlicht würde die Sonne durch das Guckloch hereinscheinen. Vielleicht würde er die Sonne gar nicht mehr lebend erblicken, aber es freute ihn, daran zu denken und sich seine Hoffnung zu bewahren, solange er bei Bewußtsein blieb.
    Langsam nahmen die vagen Umrisse seiner Umgebung Gestalt an; das Gewölbe aus Felsen, von dem Tropfsteine herabhingen, der dunkle sich verengende Schlund, der wie ein Tunnel ins Innere der Erde lief; die Wandnischen, die vollgestapelt waren mit Steinen und in Baumrinde eingewickelten Bündeln, die er nicht identifizieren konnte; er vermutete jedoch, daß sie Waffen und Knochen längst verstorbener Krieger enthielten, welche die Myalls an ihrer heiligen Stätte aufbewahrten.
    Er fragte sich, ob sie ihm wohl das gleiche Privileg zugestehen würden, nachdem sie ihn getötet hatten – oder ob ihm selbst diese primitive Würdigung versagt bliebe. Nicht, daß es ihm etwas ausmachte. Für ihn war nur noch wichtig, wie er von den Trümmern seines Lebens ohne große Anstrengung Abschied nehmen konnte.
    Er hatte sich nie um religiöse Dinge gekümmert. Die Philosophie war für ihn ein unenträtselbares Geheimnis. Sein ganzes Leben war nach dem pragmatischen Kreis von Geburt, Wachstum, Broterwerb und Tod ausgerichtet. Der Mensch konnte nur in seinen Nachkommen fortbestehen, und wohl dem, der starb, bevor sie ihn enttäuschten. Mit dem Tod kam die allerletzte Angst, doch war diese einmal überwunden, blieb nur noch die stille Enttäuschung übrig, daß das Leben von so geringer Bedeutung war.
    Plötzlich wurde die Stille durch ein Geräusch unterbrochen, von einem einzelnen klaren Ton, als ob jemand mit dem Fingernagel gegen ein Kristallgefäß schnippte. Der Klang hallte eine Sekunde in dem Höhlengewölbe nach, bevor er erstarb. Eine ganze Minute lang lag Dillon und lauschte; doch das Geräusch wiederholte sich nicht, und seine Gedanken schweiften wieder ab.
     … Der Sohn des Treibers, der ein Viehkönig sein wollte … Der Rotzbengel, der dem großen Kidman persönlich die Steigbügelriemen hielt und staunend auf das goldene Zehnschillingstück glotzte, das man ihm zugeworfen hatte … Der junge Rinderhirte, der zum erstenmal tausend Stück Vieh über fünfhundert Meilen ausgedörrtes Land zur Bahnstation trieb … Der ledergesichtige Schütze im Japankrieg, der seine Zigaretten- und Bierration verschacherte, um sein Soldbuch aufzubessern … Der sich im Urlaub von den Weibern fernhielt, weil zwei Nächte in der Stadt soviel kosteten wie eine einjährige Färse … Der Tag, an dem das Los bei der Zuteilung von Pachtland im Territorium auf seine Nummer fiel … Das Zelt mitten im Niemandsland, während sein Vieh in den Flußniederungen weidete … Die mühsamen Jahre des Sparens und Darbens, mit kümmerlichem Verdienst und teuren Krediten, bis er sein erstes Haus bauen, seine erste Hypothek zahlen und seine erste Reise nach Osten unternehmen konnte, um anständiges Vieh zu kaufen. Solange er ein Niemand war, dem es dreckig ging, der sich mit minderwertigen Schlachtbullen und zähem Fleisch abgab, so lange konnten die großen Viehbetriebe ihn sich selbst überlassen … Doch von dem Tag an, als er ins Zuchtgeschäft einstieg, begannen sie Druck auf ihn auszuüben – immer mit dem gleichen lockenden Angebot: Kredit. Als er heiratete, einen Haushalt einrichtete und seinen Betrieb aufzubauen begann, verstärkte sich der Druck, doch je mehr der sich steigerte, um so

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