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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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komplizieren? Todesursache: Speerverletzungen. Ein Kadaitjamord. Punktum.
    Danach neigte er sich über Dillon, um auch ihn zu untersuchen. Er hob die geschwollenen Lider und sah die aufwärts gerollten Augen. Er hielt sein Ohr lauschend gegen den gebrochenen Brustkorb. Kein Herzschlag war zu hören. Doch als er den Puls fühlte, stockte ihm der Atem, und sein Herz wurde schwer wie ein Stein. Der Puls war da, flach und unregelmäßig. Aber er war da. Lance Dillon lebte.
    Zum erstenmal in seinem Leben begriff Adams, was Mord bedeutete. Da gab es nur ein Motiv, eindeutig und abscheulich, und zwar war das der überwältigende Drang, mit einem Streich das Hindernis zum Glück zu beseitigen. Es war eine großartige, einmalige Gelegenheit. Laß Dillon noch ein paar Stunden allein, und er wird ganz sicher sterben. Er, Adams, brauchte nur hinaufzugehen und Mary und Billy-Jo zu erzählen, er habe beide Männer tot aufgefunden. Dann könnte er, um der Witwe den grauenhaften Anblick zu ersparen, zurück zu den Viehhirten reiten. Die würden später die Leiche holen und zur Polizeistation bringen, und die Untersuchung würde zweifellos ergeben: Tod durch Verletzung mit einem Speer, Infektion und Erfrieren.
    Ein paar entsetzliche, endlos scheinende Minuten lang war er von diesem Gedanken wie besessen. Er konnte es tun. Er wollte es tun. Straffreiheit war ihm garantiert. Hier in dem nackten Land vertrat Neil Adams das Gesetz. Sein Wort stand außer Zweifel. Er brauchte nur Mut genug, um sich abzuwenden und ins Sonnenlicht hinauszutreten.
    Doch diese grauenvolle Vorstellung verließ ihn allmählich, und er stand bloß noch schwitzend und zitternd vor Dillon, der zu seinen Füßen wie eine von spielenden Kindern vergessene schmutzige Stoffpuppe lag. Und bevor ihn weitere derartige Vorstellungen heimsuchen konnten, lud er Dillon wie einen Sack über seine Schultern und stolperte die steile Rampe hinauf ins Tageslicht.
    Sie hüllten Lance Dillon in Decken und legten ihn unter den Flaschenbaum in den Schatten. Sie wuschen sein Gesicht, träufelten ihm Wasser und Whisky zwischen die Zähne und sahen die schwache Lebensflamme in ihm einen Moment aufflackern und gleich wieder verlöschen. Sie taten dies alles mit entschlossener und schweigsamer Konzentration, so als ob auch der leiseste Wortwechsel ihre Geheimnisse in den Himmel hinaufschreien könnte.
    Tränenlos beugte sich Mary Dillon über ihren Mann, trocknete ihm die Lippen, wischte ihm den Eiter aus den Augen und hielt ihm den Kopf, damit Adams ihm die Flüssigkeit aus seinem Becher einflößen konnte. Nach einem ersten entsetzten Aufschrei bei dem furchtbaren Anblick war sie in Schweigen verfallen, doch ihrem Gesicht sah man an, wie es in ihr kämpfte. Ihre Wangen waren bleich, die Haut straffte sich über den Backenknochen, und alles Blut war aus ihren Lippen gewichen. In ihren starren Augen spiegelten sich Bestürzung, Mitleid, Aufruhr, Schmerz, Verwirrung und bloßes physisches Grauen wider. Doch zärtlich wie eine Liebende und geschickt wie eine Krankenschwester bemühte sie sich um das, was von Lance Dillon übriggeblieben war.
    Neil Adams stand ein wenig abseits, rauchte nervös eine Zigarette und unterhielt sich leise mit Billy-Jo. Nach einer Weile kam er wieder zu ihr und sagte behutsam: »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen. Gilligan kommt heute morgen zurück. Ich möchte sichergehen, daß die Landebahn für ihn fertig ist.«
    Mary Dillon nickte und fragte tonlos: »Wie bringen wir Lance dorthin?«
    »Wir legen ihn vornüber auf das Packpferd. Wir polstern alles mit Decken aus und binden ihn fest. Bequemer können wir's ihm nicht machen.«
    »Wird er die Strecke überstehen?«
    »Das weiß nur Gott, Mary. Unten in der Höhle dachte ich, er wäre tot. Ich kann nicht sagen, daß es ihm jetzt besser ginge. Gilligan soll nach Ochre Bluffs funken, daß der Doktor sich bereit hält. Lance muß sofort ins Krankenhaus. Mehr können wir nicht tun.«
    »Ich hätte nie geglaubt, daß er soviel aushalten kann.«
    Sie sprach mit einer unverändert tonlosen Stimme, und ihr Gesicht war nur noch eine weiße Maske.
    »Wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Gib ihm noch einen Schluck Whisky, und dann laß uns aufbrechen.«
    Ihre nächsten Worte trafen ihn wie ein Blitz.
    »Wenn er stirbt, Neil, mach dir keine Vorwürfe. Du hättest ihn auch in der Höhle zurücklassen können, und niemand hätte es je erfahren – wenn ich auch vielleicht etwas vermutet hätte. Falls es sein muß, werde ich

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