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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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blaßblauen Himmel herunter und stieg von der heißen Erde in Wellen und Wirbeln hoch, zwischen denen das kleine Flugzeug wie ein Insekt hin- und herschwankte.
    Kalter Schweiß brach auf Marys Stirn aus, und um gegen die Übelkeit anzukämpfen, beugte sie ihren Kopf auf die Knie herunter. Auf keinen Fall konnte sie jetzt ein neues Mißgeschick, eine weitere Demütigung ertragen. Mehr als alles andere brauchte sie Kraft, um auch den letzten Akt des Dramas zu überstehen. Nach ein paar Minuten flog die Maschine wieder ruhig, die Schwäche ließ nach, und Mary wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch über Gesicht und Hände.
    Sie hatte die Wahrheit gesprochen, als sie zu Neil Adams gesagt hatte, sie müßte allein sein. Von dem Augenblick an, als er Lance aus der Höhle getragen hatte, schien jede Geste wie einstudiert und jedes Wort eine schamhafte Lüge zu sein. Die aufwallende Zärtlichkeit und das Mitleid für Lance wurden zurückgedrängt durch die Anwesenheit des Mannes, mit dem sie ihn betrogen hatte. Alles war so schnell gegangen, daß dem Geschehen noch immer ein Hauch von Unwirklichkeit anhaftete, wie ihn die Zuschauer bei einem Theaterstück empfinden mochten. Es war ein Stück von der Ehrlichkeit und ihren Folgen gewesen, wobei die Ehrlichkeit nur teilweise zum Ausdruck gekommen war und die Folgen noch nicht abzusehen waren.
    Hier in der blendenden Weite zwischen Himmel und Erde, wo das Dröhnen des Flugzeugs ihre Sinne betäubte, löste sich der Schock allmählich, und ihr Verstand begann wieder zu arbeiten. Ihr Mann lebte. Sie konnte noch für ihn empfinden und mit ihm fühlen. Das Gefühl hatte sich verändert, es war schwächer geworden und hatte sich mit neuen Empfindungen für einen anderen Mann vermischt; doch es lebte – es war ein Rest von Liebe für das, was von ihrem Mann übrig war.
    Noch war nicht abzusehen, wo alles enden würde. Die Liebe war zuerst langsam verwittert und dann geschwind verweht. Auch der Mann war gebrochen, und selbst wenn er überlebte – was würde von ihm bleiben? Von seinem zähen, kräftigen Körper, von seinem strebsamen, ehrgeizigen und doch kurzsichtigen Geist?
    Und Neil Adams? Auch er hatte den Schauplatz verkrampft und stumm wie eine Marionette verlassen. Was dachte er jetzt? Was erhoffte oder befürchtete er von der kurzen leidenschaftlichen Begegnung unter dem Sternenhimmel? Mit welchen inneren Teufeln hatte er unten in der Geisterhöhle gerungen? Wie würde er sie, Mary, morgen um diese Zeit begrüßen?
    So viele Fragen – und ihre Antwort war von demselben dünnen Faden abhängig, an dem das Leben von Lance Dillon hing. Sie schloß die Augen und lehnte ihren Kopf gegen die schwingende Wand des Flugzeugrumpfes, während sich der weite öde Teppich des Landes unter ihr ausbreitete.
    Das Land …! Eines wußte sie ganz sicher. Sie würde sich nie wieder vor ihm fürchten. Sie mochte es lieben oder verabscheuen, in ihm leben oder es verlassen, aber nie wieder würde sie es fürchten. Sie hatte seine schlimmsten Seiten kennengelernt – Schmerz, blinde Grausamkeit und Blut, das in seinem Staub trocknete. Doch sie hatte auch seiner Melodie gelauscht, sie hatte unter seinen Sternen geschlafen und sie hatte sich beim Liebesakt seinem herben Zauber hingegeben. Jetzt war es ihr Land, und sie gehörte zu ihm; genau wie sie jedem der beiden Männer gehörte, ohne zu wissen, ob sie bei dem einen bleiben oder mit dem anderen gehen sollte.
    Willinja, der Zauberer, saß im Schatten des spitzen Felsens und beobachtete die beiden Reiter, die wie eine Fata Morgana auftauchten und über die Ebene näher kamen. Er hatte keine Angst vor ihnen, doch er wäre froh gewesen, wenn er die Begegnung schon hinter sich gehabt hätte. An Tagen wie heute spürte er die Jahre in seinen müden Knochen, und die Last der Sorge um sein Volk drückte schwer auf seine Schultern. Er wünschte, er könnte sie ablegen wie eine Schlangenhaut, um wie die anderen alten Männer in der Sonne zu sitzen und sich von seinen jungen Frauen versorgen zu lassen.
    Doch dafür war es noch zu früh, denn bis jetzt war kein junger Mann bereit und fähig, sich dem Todesritual zu unterziehen und die Last der Macht und des Wissens auf sich zu nehmen. Vielleicht würde es überhaupt nie mehr dazu kommen. Immer mehr junge Burschen zog es in die Städte der Weißen, zu den Farmen und den Lagern der Erzbergleute. Die übrigen waren viel zu sehr mit den Problemen des täglichen Lebens beschäftigt, als sich einer

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