Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nadelstiche

Nadelstiche

Titel: Nadelstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baden & Kenney
Vom Netzwerk:
die Nummer mit zitternden Fingern. Zehn Minuten! Bis dahin könnte Mycroft tot sein! Sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen und einer Stimme zu lauschen, die Mycrofts Symptome beschrieb, um Hilfe flehte, einer Stimme, die viel schriller klang und schneller sprach als ihre eigene.
    Sie legte auf, setzte sich neben Mycroft, um zu warten und seinen seidigen Kopf zu streicheln. Die vertrauensvollen braunen Augen des Hündchens blickten zu ihr hoch, bettelten sie stumm an, seine Schmerzen zu lindern. Warum hatte sie ihn als Lockvogel benutzt? Warum hatte sie ihn das viele Menschenessen fressen lassen? Bitte, Gott, lass ihn leben, und ich schwöre, er bekommt bis ans Ende seiner Tage nur noch Science Diet.
    Das Telefon klingelte. Manny griff hastig nach dem Hörer. »Dr. Costello? Das ging aber schnell. Vielen, vielen Dank, dass Sie zurückrufen.« Manny schilderte Mycrofts Symptome und beantwortete die Fragen des Arztes.
    »Hört sich an, als wäre das Gift aus dem Körper«, sagte Dr. Costello. »Aber das schwere Atmen macht mir Sorgen. Halten Sie ihn warm und bringen Sie ihn zu mir in die Praxis.« Dann seufzte er unwillig. »Nein, das wird nicht gehen.«
    »Doch! Doch, das geht!« Mannys Stimme war hell und beschwörend.
    »Da müssten Sie ja quer durch die ganze Stadt. Wenn er wirklich unter Atemnot leidet, kommt es auf jede Minute an«, erklärte Dr. Costello. »Meine Frau meint, Sie sollten ihn lieber herbringen, zu uns nach Hause. Ich habe hier alles, was ich brauche.«
    »Oh, Gott sei Dank! Ich komme sofort. Welche Adresse?«
    Manny kritzelte sie auf das einzige Stück Papier, das sie in der Eile finden konnte – die Rückseite einer Saks-Quittung. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Dr. Costello ganz in ihrer Nähe wohnte. Sie konnte seine Wohnung zu Fuß erreichen; das würde schneller gehen, als um diese Uhrzeit auf ein Taxi zu warten. Sie zog schnell eine Jeans und ein T-Shirt über und nahm Mycroft an die Leine. Der Arme war zu schwach, um zu laufen. Sie würde ihn tragen müssen, aber sie wollte ihn lieber auf dem Arm halten, statt ihn in seinen Tragekorb zu legen, damit sie besser sehen konnte, wie es ihm ging.
    Im Fahrstuhl drückte sie den Knopf für das Untergeschoss. Wenn sie das Haus durch den rückwärtigen Lieferanteneingang verließ, kürzte sie die Strecke um einen ganzen Block ab.
    Als sie in die graue Morgendämmerung hinaustrat, umfingen sie die Gerüche und Geräusche der Stadt, aber die Straße war noch menschenleer. An der nächsten Ecke gab ein Müllwagen ein regelmäßiges Warnsignal von sich, während er rückwärts an einen Container heranfuhr. Aus dem Rinnstein stieg Uringeruch auf. Mit Mycroft unter dem Arm trabte Manny auf halber Höhe des Blocks über die Straße. Ein Betrunkener lag auf einer Unterlage aus Pappkarton, die schmutzigen Finger selbst im Schlaf noch um eine billige Flasche Wein geschlossen. Manny wandte den Blick ab, als sie an ihm vorbeikam.
    Irgendetwas umfasste ihren Knöchel. Manny blickte überrascht nach unten und sah das grinsende Gesicht des Betrunkenen. Sie versuchte reflexartig, die Hand abzuschütteln, eher verärgert als verängstigt. Heute Morgen hatte sie keine Zeit, sich überfallen zu lassen. Sie hörte hinter sich Schritte nahen und holte tief Luft, um nach Hilfe zu schreien.
    Das war unklug. Als ihre Lunge sich weitete, füllte sie sich mit süßlichem Äthergeruch. Die Gebäude kippelten und fingen an, sich zu drehen. Der Bürgersteig kam ihr entgegen. Mycroft fiel ihr aus den Armen.
    »Mein Hund! Mein Hund!« Vielleicht dachte Manny diese Worte nur, vielleicht sprach sie sie auch laut aus.
    So oder so, es hörte sie niemand.

43
    Jake streckte den rechten Arm aus und tastete in der Dunkelheit seines Bettes nach Manny. Kissen, Laken, Decke, aber keine weichen Rundungen, keine wild zerzausten Haare. Dann fiel es ihm wieder ein: Manny war gestern Abend nicht geblieben, irgendwas mit einer Anhörung früh am nächsten Morgen. Er wunderte sich, wie tief seine Enttäuschung darüber war.
    Na gut, dann steh ich eben auf und erledige ein paar Sachen, die liegen geblieben sind, ehe ich ins Büro fahre. Jake strebte nach unten Richtung Kaffee und Laptop und wäre auf der Treppe um ein Haar über einen großen Karton gestolpert, der Beweisstücke zu einem ungeklärten Todesfall in Polizeigewahrsam enthielt und vor zwei Tagen aus Los Angeles eingetroffen war. Manny hatte recht: Das Haus entwickelte sich unaufhaltsam zu einem öffentlichen

Weitere Kostenlose Bücher