Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
ich glaube Ihnen und es schmerzt mich, dass ich dieser Dame nicht den nötigen Respekt entgegengebracht habe. Und wenn ich helfen kann, dieses Tagebuch wieder in ihren Besitz zu bringen, dann will ich das mit Freude tun. Es gehört ihr und sie allein sollte darüber entscheiden. Auch wenn ich mir als Christ nichts sehnlicher wünschen würde, als dass es allen Christen gehört und ihnen zugänglich gemacht wird. Aber sie wird ihre Gründe haben.“
„Das denke ich auch.“
„Und wie wollen Sie an das Tagebuch kommen?“
„Ich hoffe mit Ihrer Hilfe. Ich hatte mir das folgendermaßen vorgestellt …“
Kapitel 71
„Wo waren Sie solange?“, fragte Andreas sichtlich genervt.
„Verzeihen Sie …“, sagte Nick und wollte fortfahren, wurde aber von Andreas unfreundlich unterbrochen.
„Fast hätte ich ohne Sie weiter gelesen. Aber so ist das, wenn man ein gutherziger Mensch ist.“
Nick spürte die Überheblichkeit in Andreas Stimme, schwieg aber, da er Andreas nicht zu sehr verärgern wollte, dafür war die Angelegenheit zu ernst.
„Also, gut dann wollen wir mal …“
… Joshua lebt. Ja, du liest richtig. Er lebt. Wie das möglich ist?
Vielleicht sollte ich da anfangen, wo ich aufhörte, am Tage, wo Joshua gekreuzigt wurde. Niemals werde ich diesen Tag vergessen. Ich hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen. Unruhig, eigentlich hatte ich gar nicht geschlafen. Die Kreuzigung war für den frühen Morgen angesetzt.
Wir alle wussten, dass dieser Kampf verloren war. Welche Überraschungen und Wendungen folgen sollten, konnte damals keiner ahnen, schon gar nicht in diesen Stunden der Trauer.
Er sollte auf dem Hügel Golgatha gekreuzigt werden, als Mahnmal für alle Wanderprediger, die mit dem Gedanken spielten, das Volk gegen Rom aufzuhetzen.
Statt wie üblich die Gefangenen zum Hügel zu fahren und das Kreuz dort aufzustellen, hatte Pilatus sich für Joshua etwas besonders abscheuliches ausgedacht. Er ließ ihn sein Kreuz den ganzen Weg bis zum Hügel selber tragen.
Es war fürchterlich. Fürchterlich, mit anzusehen, wie er unter dieser Last zusammenbrach, fürchterlich, tatenlos zusehen zu müssen, wie man sein Leid nur noch vermehrte. Menschen können Meister der Qualen sein. Versuchte jemand, ihm die Last abzunehmen, stießen die Soldaten ihn weg. Sie lachten Joshua aus und verhöhnten ihn als König der Juden. Wir folgten ihm schweigend, verbittert gegenüber den Soldaten und voller Mitgefühl wegen Joshua. Du möchtest nicht wissen, wie viele Morde ich an diesem Tag in Gedanken verübt habe. Der Weg war gesäumt von unzähligen Schaulustigen. Pilatus hatte aber zur Sicherheit der Stadt sehr viele Soldaten mobilisiert.
Aber nicht nur die Soldaten Roms verhöhnten ihn, sondern auch viele Juden, die ihm all die schlimmen Dinge nachsagten, die schon am Tage der Verhandlung behauptet wurden. Diese einfältigen Menschen, aber sie wussten es nicht besser. Möge Gott ihrer Seelen gnädig sein!
Aber auf halbem Wege hielt sich Joshua kurz an einer Mauer fest, die Erschöpfung war in sein Gesicht gezeichnet. Ich litt mit ihm, als er versuchte, das Kreuz wieder auf seine blutige Schulter zu stemmen, aber seine Kraft ließ es nicht zu. Er brach unter dieser schweren Last zusammen. Wir versuchten zu ihm vorzudringen, aber die Soldaten hinderten uns. Einem gelang es dennoch. Ich hatte diesen Mann schon einmal gesehen, es war Juda Ben Hur. Ein angesehener Mann Judäas, dem auch das Schicksal übel mitgespielt hatte. Er war, als er von der Festnahme Joshuas erfuhr, zu uns geeilt und hatte uns seine Hilfe angeboten, da Joshua seine Mutter und seine Schwester mit seinen Worten der Liebe und Hoffnung geheilt hatte.
Damals hatten wir seine Hilfe dankend abgelehnt und ihn als Freund empfangen, doch heute ist diese von unschätzbarem Wert für unsere Sache.
Juda hatte einen Kelch mit Wasser und es gelang ihm, Joshua kurz davon trinken zu lassen, ehe ein Soldat den Kelch umstieß.
„Nicht mal einem Sterbenden gönnt ihr ein Schluck Wasser. Was für Barbaren seid ihr?“, fragte Juda verärgert, doch der Soldat ließ sich nicht erweichen.
Juda hob das Kreuz von Joshua auf und wollte es tragen, doch auch dies ließen die Soldaten nicht zu und stießen ihn mit roher Gewalt zurück.
Ich werde das nie vergessen, aber ich sah, wie Joshua mit letzter Kraft aufstand und sein Blick traf Judas , und in diesem Blick war Freude, und sein Gesicht lächelte. Dies zu sehen, liebes Tagebuch, schnürte mir den Atem ab.
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