Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
Wieso wollten sie nicht begreifen, welch wunderbarer Mensch er war?
„Sei nicht erzürnt über ihre Taten, Juda, denn auch in ihnen wohnt das Herz der Liebe im Namen ihrer Kinder“, flüsterte Joshua mit seinen letzten Kräften. Ich konnte das nicht hören, es war zu leise, aber Juda berichtete mir davon später. Und er meinte, dieser Satz hätte ihn sehr ergriffen. Zum einem, weil Joshua selbst noch in dieser
Stunde seine Feinde in Schutz nahm und zum anderen, weil Juda nie mit Joshua gesprochen hatte und dieser seinen Namen kannte.
Wenn nicht Gottes Sohn in den Herzen der Menschen ihr Leben lesen kann, wer dann, liebes Tagebuch?
Joshua hob das Kreuz auf und setzte seinen beschwerlichen Weg zu seiner eigenen Kreuzigung fort.
Auf dem Hügel warteten sehr viele Soldaten und noch mehr Schaulustige.
Der Hügel war schon mit anderen Gekreuzigten bepflanzt. Pilatus´ Herrschaft war von Blut gezeichnet. Sein Wesen war durch und durch schlecht im Gegensatz zu seiner Frau.
Claudia war wunderbar, intelligent und mitfühlend. Und ich habe nie verstanden, warum sie solch einen Mann lieben konnte. Aber wer versteht schon die Liebe? Doch an diesem Tag hat sie sich von Pilatus getrennt und ihr ist es zu verdanken, dass Pilatus vom Kaiser höchstpersönlich nach Rom zitiert wurde und für seine Gräueltaten zu Rechenschaft gezogen wurde.
Aber ich glaube, der Gedanke Joshua nicht vorm Kreuz gerettet zu haben, quälte sie mehr, als wir zu diesem Zeitpunkt ahnten, denn wenige Tage später erfuhren wir, dass sie sich am Abend vor Joshuas Kreuzigung erhängt hatte. Das macht mich noch immer traurig. Ich vermisse sie sehr, aber ihr Tod war nicht vergebens.
Und dann als wir auf Golgatha ankamen, verschwendeten die Römer keine Zeit, Joshua möglichst schnell zu kreuzigen.
Maria hatte ihren Arm um meine Taille gelegt und schaute dem Schauspiel ohne Worte zu. Welch tapfere Frau sie ist!
Und heute weiß ich, dass dies eine Prüfung war. Eine Prüfung, um zu sehen, ob unsere Herzen auch bei Schmerz noch Liebe und Mitgefühl empfinden. Und ich, ich habe versagt. Denn mein Herz war voller Hass gegenüber den Römern, den Juden und allen, die Joshua Übles nachsagten. Aber es war auch voller Wut. Wut gegenüber Joshua, wie konnte er sich der Verantwortung entziehen? Ich liebte ihn. Er zerstörte nicht nur sein Leben, sondern auch das Meinige!
Jemanden zu lieben, bedeutet auch, Verantwortung zu tragen. Auch, wenn es viele Menschen nicht glauben: Liebe ist auch Macht. Und mit Macht ist Verantwortung verbunden. Und Joshua hatte die größte Macht über mich, die je ein Mensch über mich haben konnte. Was ich noch immer tue. Ich werde ihn immer lieben. Er ist mir sehr nahe.
Und jeden Abend bitte ich ihn um Verzeihung, für meine Zweifel und Ängste.
Noch immer schmerzt es mich, wenn ich an diese Momente denke. Joshua am Kreuz, das Gesicht von Schmerz gezeichnet, aber seine Würde konnte ihm keiner nehmen. Jeder der ihn ansah, sah nicht einen Kriminellen dort am Kreuz, sondern einen Menschen der Güte, und so merkwürdig es klingen mochte, innere Ruhe ausstrahlte und den Verängstigten und Trauernden Mut machte. Obwohl er am Kreuze hing, schenkte er uns Mut. Ich fragte mich ernsthaft, wer da am Kreuz war.
Einige seiner Jünger waren nicht anwesend. Ich glaube, Joshua merkte dies. Denn sein Blick wanderte durch die Menge.
Die Menge der Schaulustigen schien in ihrer Meinung gespalten. Die einen, die um Vergebung ihrer Sünden baten und weiterhin an ihn glaubten, und die anderen, die in ihm einen Scharlatan und Gotteslästerer sahen und schrien, dass, wenn er Gottes Sohn sei, er sich doch vom Kreuz befreien solle.
Oder Gott Blitze auf die Erde fallen lassen solle, um seinen Sohn zu rächen. Und ich? Ich hoffte auch, dass Gott einschreiten möge, um doch noch seinen Sohn zu retten.
Aber nichts geschah. Sein Blick wanderte durch die Menge. Doch dann auf einmal konnten es alle sehen - die Veränderung in seinem Gesicht.
Joshua weinte. Er ließ seinen Tränen freien Lauf. Sie füllten Bäche. Und ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten und weinte auch. Viele begannen zu weinen. Maria blieb standhaft.
Einer von uns wollte ihm ein wenig Wasser reichen, aber die Soldaten, die vorm Kreuz postiert waren, ließen keinen an das Kreuz Joshuas heran.
Aber das Weinen wurde von denen übertönt, die ihn der Gotteslästerung beschuldigten.
Und dann, schloss Joshua kurz die Augen , öffnete sie gleich wieder und begann zu
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