Nächte am Nil
…«
»Später, Sir, später. In einigen Wochen. Jetzt ist es unmöglich. Um Ihren Sohn wird sich die Großmutter kümmern, Ihre verehrte Gattin wird den Weg zu Gott ohne Ihre Hilfe finden müssen. Wir können Sie nicht weglassen. Und Sie wissen genau, warum. Ägypten kann es sich nicht leisten, jahrelange erfolgreiche Forschungen durch solche absolut menschlichen Schicksale auf das Spiel zu setzen. Sie wissen, daß Agentengruppen unterwegs sind, um unser Raketenprogramm zu stören. Mit allen Mitteln – und wenn es Ihr Leben ist, Sir. Ihr Leben aber ist uns wertvoller als der Kranz, den Sie am Grabe Ihrer Gattin niederlegen.«
Alf Brockmann sah über die im Wüstensand wippenden Palmen. Die runde Kuppel der kleinen Moschee blendete in der Sonne. Kindergeschrei wehte zu ihm, das helle Aufkreischen eines Lastesels, Stimmengewirr jenseits der hohen Mauer, die das Villenviertel abschloß von der Oasenstraße.
Birgit. Lange, blonde Haare. Die Segelbootfahrt vor Grömitz. Der Wind trieb sie über die spiegelnde, glatte Ostsee. Am Abend Tanz im Seehotel. Vor der Tür der Pension, in der sie wohnte, der erste schüchterne Kuß. »Ich weiß nicht, ob ich morgen kommen kann«, sagte sie zum Abschied. Aber sie kam doch. Drei herrliche Wochen im warmen Sand, unter blauem Himmel, am Rande eines golden überhauchten Meeres. Dann die Verlobung, die Hochzeit, das unfaßbare Glück in einer kleinen, eigenen Welt. Die Geburt von Detlef-Jörg. O Gott, wie einmalig herrlich ist das Leben! O Gott, Glück ist wie ein Gebet, man kann in ihm versinken.
Vorbei. Alles vorbei. Ein Unglücksfall. Ein Auto schleuderte, warf sie gegen eine Hauswand und zerquetschte sie. Und in Sekundenschnelle zerbarst ein Paradies.
»Ich werde hier in meinem Haus in Streik treten, General, wenn Sie mich nicht sofort nach Deutschland fliegen lassen«, sagte Alf Brockmann heiser. »Ihre Regierung ist sonst nicht so phantasielos. Stellen Sie mir einen falschen Paß aus, lassen Sie mich in einem Koffer als Diplomatengepäck reisen, erfinden Sie irgend etwas … aber schaffen Sie mich nach Lübeck.«
»An die Möglichkeit eines Streiks haben wir gedacht, Sir.« Assban zerdrückte seine Zigarette. »Von anderen Maßnahmen abgesehen, können wir entgegnen, daß wir Ihren kleinen Sohn nicht herüberholen.«
»Das ist eine gemeine Erpressung.«
»Sir, denken wir doch nüchtern.« General Assban erhob sich und ging auf der überdachten Terrasse hin und her. »Für eine Stunde Pietät die Sicherheit unserer Nation aufs Spiel zu setzen – das ist keine Relation. Wir möchten Sie bitten, uns und Ihrer Arbeit dieses Opfer zu bringen und in Bir Assi zu bleiben.«
»Und meinen Sohn?«
»Holen wir herüber.«
Alf Brockmann trat vor und hielt sich am Geländer fest. Er sah in das blaue Wasser des Schwimmbeckens. Sie schwamm so gerne, dachte er. Dort von dem Startblock wäre sie mit einem Kopfsprung ins Wasser geglitten. Wie ein silberner Fisch konnte sie tauchen, ein Pfeil, der durchs Wasser glitt, und wenn sie auftauchte, lachte sie hell und schüttelte das nasse, goldene Haar. »General!«
»Sir?«
»Ich möchte meine Frau bei mir haben. Veranlassen Sie eine Überführung.« General Yarib Assban schwieg. Dann klemmte er die Reitgerte wieder nach englischer Art unter die Achsel. »Es wird nur möglich sein, nach einer Einäscherung die Urne nach Bir Assi bringen zu lassen, Sir.«
»Sie versprechen mir, daß dies möglich ist?«
»Mit meinem Ehrenwort, Sir.«
»Ich danke Ihnen, General.« Alf Brockmann senkte den Kopf. Er ging vor und ließ die Tür zum Inneren des Hauses offen. Assban folgte ihm und öffnete im Wohnzimmer den holzverkleideten Eisschrank.
»Sie sollten jetzt etwas trinken, Sir«, sagte er.
»Danke, General.« Brockmann sah auf seine gefalteten Hände. »Wann könnte die Urne hier sein?«
»In zehn Tagen vielleicht. Ich werde sie mit dem Kurierdienst der Botschaft überbringen lassen.«
»In zehn Tagen. Wie schnell es jetzt geht.« Er schlug die Hände vor die Augen und beugte sich weit vor. »Und so sehen wir uns wieder, Birgit …«
*
Fünfmal hatte Birgit nach Ägypten geschrieben. An die Deckadresse, wie seit einem Jahr. Herrn Alf Brockmann, Kairo I, Postbox 176.
Dreißigmal, jeden Morgen, stand sie hinter der Gardine und starrte auf die Straße, über die der Briefträger kam.
Fährt er vorbei? Hält er? Läutet er?
Nein, er verlangsamt nicht die Fahrt. Vorbei. Wieder ein Tag ohne Nachricht.
Oder! Er bremst. Er kommt über den
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