Nächte am Nil
schön.«
Detlef-Jörg nickte und lief auf das weiße Haus zu. Die Kinderschwester wartete, bis Jörgi die Gartenpforte des Vorgartens hinter sich zugehakt hatte, schwang sich dann auf ihr Rad und fuhr zufrieden in die Stadt zurück.
Anstatt durch die Haustür, betrat Jörgi durch den Garten und über die Terrasse das Haus. Dazu mußte er einen Bogen durch den Obstgarten machen. Nach ein paar Schritten durch die Rabatten der Beerensträucher blieb er verwundert stehen, denn auf dem alten, abgeschnittenen Benzinfaß, in dem man das Regenwasser sammelte, saß ein braunhäutiger Mann und rauchte eine Zigarette, die er in der hohlen Hand verbarg.
»Was machst du denn hier?« fragte Jörgi laut. Unbefangen kam er näher. Angst kannte er nicht. Das hier war sein Garten, sein Benzinfaß.
Zareb Ibn Omduran sprang auf die Erde und zertrat seine Zigarette. Er lächelte breit und nickte dem kleinen Jungen vertrauenerweckend zu. »Wer bist du denn?« fragte er.
»Detlef-Jörg Brockmann.«
»Ein schöner Name.«
»Und wer bist du?«
»Ein Prinz aus dem Märchenland«, sagte Zareb romantisch. Dabei ließ er seine Zähne blitzen und rollte mit den dunkelbraunen, fast schwarzen Augen. Jörgi legte den Kopf etwas schief und sah den fremden, braunen Mann kritisch an.
»Was willst du hier?«
»Ich habe draußen gesehen, wie rot die Johannisbeeren leuchten. So etwas gibt es bei uns nicht. Und da bin ich über den Zaun gestiegen und habe ein paar von deinen Johannisbeeren gegessen. Durfte ich das?«
Jörgi überlegte eine Sekunde. Er ist freundlich, dachte er. Und er ist wirklich ein Mann aus dem Land, wo die Menschen braun sind. Er ist nicht angemalt, wie ich mich zu Karneval anmale, wenn ich Indianer sein will. Er ist echt.
»Ja«, sagte er. »Willst du noch ein paar?«
»Danke. Ich habe genug. Wir essen in unserem Land nur süße Sachen. Die Beeren aber sind sauer.«
»Aber gesund.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Meine Mami.«
»Und wo ist deine Mami?«
»Ich weiß nicht. Sie ist mit Onkel Konrad weggefahren.«
»Wer ist Onkel Konrad?«
»Ein Freund von Papi.«
»Und wo ist dein Papi?«
»Weit weg. In Ägypten. Kennst du Ägypten?«
»Nein.« Zareb sah sich um. Auf der Terrasse erschien jetzt eine weißhaarige Frau. Berta Koller nahm die Tischdecke von dem Gartentisch ab und faltete sie zusammen.
»Das ist Omi«, sagte Jörgi und streckte den Zeigefinger aus. »Soll ich sie rufen?«
»Nein. Warum?« Zareb duckte sich etwas. Er war bereit, Jörgi an sich heranzuziehen und ihm die Kehle zuzudrücken, wenn der Junge rufen würde. Das Erscheinen Berta Kollers machte es ihm auch unmöglich, Jörgi schon jetzt mitzunehmen. Er war sicher, daß der Junge sich wehren würde. Wichtiger war es, das Vertrauen Jörgis zu gewinnen und ihn morgen oder übermorgen wegzulocken. Zareb hatte Zeit. Es kam nicht auf Tage an. Noch war nicht sicher, ob Birgit Brockmann wirklich versuchen würde, nach Ägypten einzusickern. Schon der Weg bis zum Mittelmeer würde ihr schwer werden. Überall auf der Strecke von Lübeck bis zum Meer waren die nötigen Maßnahmen bereits getroffen worden, sie aufzuhalten. Vom Schuß aus dem Hinterhalt bis zum Hinauswerfen aus dem fahrenden D-Zug waren alle Möglichkeiten erwogen. Man kannte keine Skrupel. Es ging um mehr als um einen einzigen Menschen.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte Zareb und gab Jörgi die Hand. »Soll ich morgen wiederkommen? Ich kann dir viel erzählen aus fernen Ländern. Ich habe Räuber gesehen und Menschenfresser.«
»Richtige Menschenfresser?« staunte Jörgi. Seine Augen glänzten.
»Ja. Mit angespitzten Zähnen. Jeder trug einen Kochtopf am Gürtel.«
»Au fein!« Jörgi klatschte in die Hände. »Willst du nicht ins Haus kommen und Omi auch von den Menschenfressern erzählen?«
»Nein, Omis haben ja immer Angst. Aber wir sind ja Männer, was? Ich komme morgen wieder, um die gleiche Zeit. Hier an die Tonne.«
Zareb streichelte Jörgi über die hellblonden Haare. Er empfand dabei keinerlei Regungen, es war nur eine mechanische Bewegung, die zu seiner Rolle gehörte. Er winkte sogar zurück, als er sich im Schutze der Büsche über den Zaun zurück auf die Straße schwang und dann, etwas geduckt, davonlief. In einem Nebenweg, der zum Kanal führte, parkte sein alter VW.
Jörgi ging tief in Gedanken versunken zur Terrasse. Menschenfresser, Räuber, angespitzte Zähne, Kochtöpfe am Gürtel. O lieber Gott, wenn es doch schon morgen abend wäre!
Berta Koller rückte die
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