Nächte am Nil
nicht. Sie sah eine unendliche Wüste. Sanddüne hinter Sanddüne, ein paar Palmen, eine kleine Oase um einen verlorenen Brunnen, vom wolkenlosen, blaßblauen Himmel brannte eine gnadenlose Sonne. Ein großer, schlanker Mann, nur mit weißem Hemd und Hose bekleidet, saß unter dem schützenden Verandadach eines armseligen Hauses und starrte hinaus in die flimmernde, gelbe Wüste.
»Nein!« sagte sie noch einmal fest und sah Gerrath an. Die Wüstenvision versank, der Hamburger Alltag umbrauste sie wieder.
»Was heißt nein?« fragte Gerrath.
»Ich werde Alf selbst suchen.«
»Du?«
»Ja.«
»Erlaube, aber das ist Wahnsinn. Das ist, gelinde gesagt, einfach blödsinnig.«
»Ich habe, als ich von Alfs Tod Nachricht bekam, der Botschaft geschrieben, daß ich nach Ägypten kommen werde. Man hat das abgelehnt. Und ich habe noch einmal angerufen und gesagt: ›Wenn Sie mich nicht legal hereinlassen, komme ich durch die Hintertür.‹ Und genau das werde ich tun. Ich weiß jetzt fast sicher, daß Alf lebt. Und wenn alle nicht den Mut haben, die Wahrheit aufzudecken – ich habe ihn! Wenn alle Behörden dem amtlichen Schreiben und der Urne nachgeben – ich gebe nicht nach! Ich lasse mich nicht betrügen. Und ich weiche auch keinen Komplikationen aus. Gut, man mag mich für verrückt halten … mir tut's nicht weh. Was sind das für Menschen, die eine Urne mit Asche schicken und sagen: ›Das ist Alf Brockmann!‹ Soll ich mich damit zufriedengeben?«
»Wir haben keine andere Möglichkeit, als zu warten, daß uns der Zufall hilft.«
»Zufall? Nein, ich fahre diesem Zufall entgegen. Ich fordere ihn heraus, Konrad.« Sie fuhr herum und faßte Gerrath an den Rockaufschlägen. »Ganz ehrlich: Glaubst du, daß Alf tot ist?«
Gerrath zögerte. Er wußte, was von seiner Antwort abhing. Aber dann sah er die großen, flehenden Augen Birgits und schüttelte leicht den Kopf.
»Nein, Birgit. Jetzt nicht mehr.«
Sie lehnte sich zurück und legte den Kopf weit in den Nacken. Während sie sprach, schloß sie die Augen und faltete die Hände.
»Ich werde in die Wüste fahren«, sagte sie langsam.
»Das wird eine Utopie bleiben, Birgit.«
»Nein. Ich habe eine Telefonnummer bekommen. Von dort aus wird man mir helfen. Und auf Jörgi mußt du aufpassen, Konrad!« Sie setzte sich gerade, griff zur Handtasche und begann, in ihr nach dem Zettel zu suchen, den ihr Zuraida gegeben hatte. Dabei sprach sie weiter, als handle es sich um Anweisungen für einen Sonntagsausflug. »Mutter ist ja auch im Hause, aber sie ist etwas komisch, du weißt ja. Sie wird auf Jörgi auch aufpassen, aber mir ist es lieber, wenn du dich jeden Tag um ihn kümmerst. Du hast doch gesagt, daß du immer für mich da bist.«
»Ja.« Gerraths Stimme klang gepreßt. »Ich werde mich um Jörgi kümmern, als sei er mein Junge. Aber, Birgit, ich flehe dich an: Schlag dir diesen Wahnsinn aus dem Kopf. Nach Ägypten, allein in die Wüste, nach einem Toten suchen … Birgit, man sollte dich mit Gewalt davor zurückhalten.«
Birgit Brockmann schwieg. Sie hatte den Zettel mit der Telefonnummer gefunden. Ihre ganze Hoffnung ruhte in dem kommenden Gespräch. Zuraida hat versprochen, zu helfen, dachte sie. Ich weiß, ich werde nie allein nach Ägypten kommen, und wenn es wirklich gelingt, werde ich elend in diesem weiten, heißen Wüstensand untergehen. Aber wenn Zuraida mir helfen kann, kann aus einem wahnwitzigen Plan Wahrheit werden.
»Bitte, fahr mich zum nächsten Postamt, Konrad«, sagte sie leise.
»Birgit –«, versuchte Gerrath noch einmal, sie davon abzuhalten.
Sie legte die Hand auf seinen Arm und lächelte ihn an. In ihren großen blauen Augen schimmerten Tränen.
»Bitte!«
In der Fernsprechzelle ließ Gerrath sie allein. Er sah, wie sie die Nummer wählte, wie sie wartete, wie sie Antwort bekam. Er sah mit eisigem Erschrecken, wie Freude und Hoffnung über ihr Gesicht zogen, wie es von innen heraus zu leuchten begann.
»Ich habe Ihren Anruf erwartet«, sagte in diesem Augenblick Zuraida. »Wir wissen, daß Sie in Hamburg sind. Kommen Sie heraus zu uns. Elbaussicht 17. Eine alte Villa aus Backsteinen. Wir werden Ihnen weiterhelfen, denn auch für uns ist Alf Brockmann der wichtigste Mann geworden.«
*
Am Nachmittag brachte die Kinderschwester des Kindergartens den kleinen Detlef-Jörg wieder nach Hause.
Auf der Straße gab sie ihm einen kleinen Stoß in den Rücken, kraulte ihm die Haare und sagte: »Nun lauf, Jörgi. Und grüße die Oma
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